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2009/3 Digitale Dienstleistungen als Herausforderung in I&D

2012 – eine Apo-(«Info»)kalypse in Sicht?

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Richten wir unseren Blick auf die Zukunft, dann offenbart sich uns ein Horizont, der von schweren, schwarz-grauen Wolken bedeckt ist. Das mag ein Zufall sein?! Oder doch nicht? Das aktuelle Geschehen auf dem Arbeitsmarkt, irrationale Turbulenzen auf den Finanzmärkten, heftig geführte Kontroversen um das Bankgeheimnis, eine stolpernde Weltwirtschaft ... Weltweit lassen sich Indizien erkennen, welche unmissverständlich eine Krise signalisieren. Politiker und Wirtschaftsführer scheinen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben – zumindest legen nationale und internationale Tagungen Zeugnis ab vom edlen Bestreben, dieser Krise aktiv zu begegnen und ihr nicht staunend zu erliegen. Ob der im November 2008 neu gewählte US-Präsident Barack Obama als Symbol eines allumfassenden Aufbruchs gewertet werden kann, wird uns erst die Zukunft zeigen.

2012 – Aufbruch, Untergang oder Wendepunkt? 

Zukunft kann faszinieren – sie kann jedoch auch Angst und Furcht wecken angesichts der vielen in der Gegenwart verankerten Ungewissheiten. Zu diesen Ungewissheiten zählt auch das ominöse Jahr 2012.

Es würde nun den Rahmen dieses Beitrags sprengen, ausführlich auf das Jahr 2012 einzutreten. Deshalb sei im Sinne einer Skizze daran erinnert, dass in diesem Jahr der sogenannte Maya-Kalender ausläuft. Dieses Ereignis wäre kaum eine Zeile wert, wenn es sich beim Kalender der in Mittelamerika beheimateten Maya um einen völlig normalen Sonnen- oder Mondkalender handeln würde. Angesichts des Umstandes, dass er eine Zeitspanne von 5126 Jahren abdeckt, drei Zählungen kennt und sein «Start» im Jahre 3114 vor Chr. liegt, kommt ihm zwangsläufig eine besondere Bedeutung zu.

Keine Frage, Erich von Däniken hat mit seiner Sichtweise vom Start und Ende des Maya-Kalenders viel Brisanz in die Diskussion um dieses Werk gebracht, dem aus kulturhistorischer, theologischer wie naturwissenschaftlicher Sicht ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Gar von einer Apokalypse zu sprechen, wie das der Beitrag von Diego Antolini antönt, wäre im jetzigen Zeitpunkt etwas vermessen. Und doch, esoterische Kreise blicken diesem Jahr mit Besorgnis entgegen, aber auch mit Hoffnung, wenn sie auf die Rückkehr der Götter spekulieren.

Wie dem auch sei, es steht ausser Frage, dass der angebrochene Klimawandel deutlich Spuren hinterlässt. Er weckt auch Ängste, dass sich dieser Wandel beschleunigen wird und damit Urheber verheerender Naturkatastrophen wird. Dieser Entwicklung kann sich weder Wirtschaft noch Gesellschaft entziehen. Umwelt und Klima diktieren uns die Wende – demnach wäre es aus wissenschaftlicher Sicht durchaus angemessen, nicht den «Untergang» zu postulieren, sondern die Wende bzw. den Aufbruch in eine neue Ära, geprägt durch ein durchwegs ökologisches Denken und Handeln gegenüber unserer Natur und Umwelt wie auch innerhalb unserer Gesellschaft und deren ökonomischer Zielsetzungen.

Informationskrise statt Informationslösungen? 

Das eingangs auf das Jahr 2012 ausgerichtete Szenario lässt Hoffnung aufkommen, dass der Wandel im Sinne eines neuen Aufbruchs und nicht ein katastrophaler Untergang unsere Zukunft prägen wird. Für ein klassisches Element unserer Gesellschaft bzw. unserer Kultur ist der Wandel bereits Fakt. Dieser Sachverhalt trifft auf die klassische Informationslandschaft zu, umfassend Archive, Bibliotheken und Dokumentationsstellen (ABD-Szene). Nebst den drei bereits genannten Trägern schliesst die Informationslandschaft weitere Akteure ein, nämlich die Arbeitnehmer und die Kunden dieser Institutionen. Das Schicksal der Arbeitnehmer wird stellvertretend an der Zukunft der betreffenden Institutionen gespiegelt. Jenes der Benutzer bzw. der Kunden verdient in der Schlussbetrachtung eine Würdigung.

Die «erste», z.T. schmerzhafte Revolution hat die ABD-Szene in den 1980er und 1990er Jahren erlebt. Diese gut 20 Jahre umfassen das Zeitalter der sogenannten Onlinedatenbanken, angeboten durch Hosts wie Data-Star, Dialog, GBI, Genios u.a. sowie die verbreitete Einführung digitaler, jedoch nur lokal zugänglicher Bibliothekskataloge.

Dieser erste einschneidende Wandel wurde geprägt durch z.T. heftige und gehässig geführte Auseinandersetzungen zwischen der «alten Garde» und der wachsenden Zunft an jungen Kräften, welche von der Zukunft wie dem vielseitigen Nutzen des EDV-Zeitalters überzeugt waren. Mit dem Einsatz von Informatik (Hard- und Software) verband sich die Hoffnung, in absehbarer Zeit Herr der wachsenden Informationsflut sowie der Nachfrage nach Informationen zu werden.

Die Hoffnung erlag rasch der Illusion, und das trotz sich rasant entwickelnden Telekommunikationsmärkten und -technologien. Im Gegenteil, das Anfang der 1990er Jahre in Genf am CERN entwickelte World Wide Web, bekannter unter dem Namen Internet, öffnete ein völlig neues Zeitalter für den Umgang und die Nutzung von Information. Noch vor der Jahrtausendwende eroberte das Internet mit schwindelerregenden Wachstumsraten die geschäftliche wie private Informationswelt. Noch ist dieser Prozess nicht abgeschlossen, doch bereits heute steht fest, dass der dadurch ausgelöste Wandel tief greifende Folgen nach sich zieht.

Mit Verspätung ist die ABD-Szene auf diese Entwicklung aufgesprungen – wesentlich später, als dies bei der Einführung des neuen Informationsspeichers CD-ROM nach Mitte der 1980er der Fall war. Die CD-ROM hat die ABD-Szene nicht markant und wegweisend verändert – sicher weit weniger, als dies bei der Nutzung von Onlinedatenbanken der Fall war.

Es bedarf keiner ausufernden Diskussionen, weil sicher Einhelligkeit im Umstand besteht, dass das Internet die Problematik Information nicht gelöst hat, sondern all die mit der Informationsflut verbundenen Probleme in beschleunigendem Stil verschärft hat.

Ob es die ABD-Szene nun realisiert oder nicht, sie befindet sich auf dem Weg zu einer tief greifenden Krise, deren Ausmasse erst in zehn bis fünfzehn Jahren wirklich erkannt werden. Die sich nun anbahnende Krise kennt höchst interessante Ansatzpunkte:

Das Ende des klassischen Unternehmertums in den 1990er Jahren bewirkte eine Amerikanisierung des Führungsstils und damit eine wachsende Gewinnorientierung zum Vorteil der Aktionäre wie des leitenden Kaders. Im Rahmen dieses Prozesses wurden viele innerbetriebliche Bibliotheken und Dokumentationsstellen fusioniert oder gingen gar verloren. Angesichts des aufkommenden Internets und der damit verbundenen Entmonopolisierung der Information war diese tragische Entwicklung unvermeidbar. Ein vergleichbarer Prozess läuft heute in den öffentlichen Verwaltungen ab – Paradebeispiel ist das Reformprojekt QSP8 in der Bundesverwaltung auf dem Platz Bern. Es bezweckt, die einst auf über vierzig Standorte verteilte Informationsinfrastruktur in der Bibliothek am Guisanplatz (BiG) zentral und kostensparend zusammenzuführen. Verschärfend kommt der Umstand hinzu, dass nach 30 Jahren Informatik in der ABD-Szene die Pioniere der Informatisierung allmählich aus der Arbeitswelt austreten, d.h., mit diesem Prozess verbindet sich ein beachtlicher Verlust an fachlichem Know-how, an historischem Wissen über die betroffenen Arbeitsstellen und an einem unersetzbaren Verlust an Netzwerkkontakten.

Das hier skizzierte Szenario bildet den Urgrund für den Aufbau einer existenziellen Krise der ABD-Szene, wo Hoffnung auf bessere Tage kaum Raum findet!

2012 – auf dem Weg zur «Infokalypse»?

Das vorhin skizzierte Szenario der ABD-Szene auf dem Weg zur Krise besiegelt unwiderruflich das Ende der klassischen Zeit der Archive, Bibliotheken und Dokumentationsstellen! Es wäre nun falsch, die Ursache allein beim Internet zu suchen, obwohl ihm eine grosse Schuld zukommt!

Leistungsfähigere Kommunikationsnetze in Verbindung mit neuen Speichertechnologien (u.a. holografische Speicher) und effizienterer Recherchensoftware öffnen faszinierende Perspektiven auf das auf dem Weg in eine neue revolutionäre Entwicklungsphase befindliche Informationszeitalter. Diese dritte, von genialen Ideen getragene Epoche wird die ABD-Szene in ihren Fundamenten erschüttern und einen Strukturwandel bewirken, der heute als Fiktion und morgen als kaum fassbare Realität bezeichnet wird.

Dank neuer Hardware in Verbin- dung mit holografischen Speichern steht ein totalitäres digitales Zeitalter vor der Tür. Der Entmonopolisierung des Informationszugriffs steht eine erneute Monopolisierung des Informationsangebots gegenüber, getragen von Namen wie Amazon und Google. Hinzu kommt die verstärkt geförderte Digitalisierung alter Bücher und Dokumente. Der Marktdruck seitens der Informationsanbieter, vereint mit neuen Kundenbedürfnissen, wird das Ziel der digitalen Informationswelt in einem möglichst umfassenden Sinne zu realisieren versuchen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich unweigerlich die Frage nach den künftigen Aufgaben und dem Stellenwert der ABD-Szene. Leitet der Aufbau einer weitgehend digitalen Informationswelt das Ende der ABD-Szene ein, d.h., stehen Archive, Bibliotheken und Dokumentationsstellen vor dem Ende, vor der Apokalypse oder, wie im Titel in sinngemässer Abwandlung formuliert, vor der «Infokalypse»?

Archive stehen vermutlich vor einer zweischneidigen Zukunft. Sie werden auch künftig Dokumente physisch aufbewahren, ihre Hauptaufgabe wird sich jedoch über kurz oder lang dem Management digitaler Informationen zuwenden. Funktionsbedingt dürfte diese Aufgabe nicht gefährdet sein, obschon sich die Rahmenbedingungen einschneidend verändern werden. Weniger die inhaltliche Erschliessung als vielmehr das Management und die Sicherung digitaler Daten sowie deren Konvertierung in neue Systeme dürften in naher Zukunft den Aufgabenkatalog der Archivare prägen.

Die klassische Bibliothekswelt hingegen steht vor dem Ende! Diese Einsicht provoziert, muss aber als realistisch gewertet werden. Nur wenige grosse Bibliotheken wie Universitätsbibliotheken sowie einige Spezialbibliotheken dürften im nationalen Rahmen eine Überlebenschance haben. Es gilt dies in erster Linie für Bibliotheken, welche nicht nur über einen ansehnlichen Bestand an alten Büchern und Schriften verfügen, sondern deren Bestand durch seine Einmaligkeit glänzt. Diese Bibliotheken werden in der Lage sein, eigens aufgearbeitete Bestände digital anzubieten und sich hierfür einen Markt zu schaffen; möglicherweise im Rahmen eines nationalen Verbundes, um nicht Opfer der harten Marktkräfte zu werden. Sobald «E-Books» eine der CD-ROM in den 1990er Jahren vergleichbare Verbreitung und Nutzung erfahren, wird die grosse Zahl an Stadt-, Gemeinde- und Quartierbibliotheken ihre Existenzberechtigung verlieren, und zwar innerhalb einer kurzen Zeitspanne. Ob sie sich eine neue Nische als «Kulturvermittler» im lokalen Rahmen erobern können, ist zu bezweifeln! Der sich anbahnende Strukturwandel wird ein «apokalyptisches» Ausmass annehmen, insbesondere mit Blick auf den unausweichlichen Stellenabbau.

Viele Dokumentationsstellen haben die 1990er Jahre nicht überlebt. Wenige werden in das zweite Jahrzehnt des dritten Jahrtausends eintreten. Dies, weil das Internet und die durch die angebrochene Wirtschaftskrise bewirkten Rationalisierungsmassnahmen in Unternehmen wie in der öffentlichen Verwaltung dieser Zunft die Existenzberechtigung rauben werden.

Es sprengt unsere Vorstellungskraft, dass ausgerechnet eine über Generationen hinweg aufgebaute Informationsinfrastruktur Opfer seiner selbst wird – nämlich Opfer der Information, welche sich dank neuer Informationsträger über neue Anbieter wie über neue Absatzkanäle einen völlig neuen Markt aufbaut. Vor diesem Szenario fällt es schwer, sich der an die Apokalypse erinnernden Wortschöpfung «Infokalypse» zu entziehen!

Die dynamischen Kräfte des kommerziellen Informationsmarktes dürfen keineswegs unterschätzt werden! Dies zeigt das jüngste Beispiel der Schweizer Unternehmensgruppe Valora, die sich u.a. eine führende Position im Geschäft mit Kiosken aufbaut. Nach einem kurzen Umbau bietet seit wenigen Wochen im Berner Hauptbahnhof ein Kiosk seiner Kundschaft sogenannte «PoD»-Produkte (print on demand) an. In der Startphase werden erst einmal Zeitungen und Zeitschriften als PoD-Produkte angeboten. Dieses Experiment, das im Erfolgsfall auf kundenstarke Standorte in der ganzen Schweiz ausgedehnt werden soll, lässt erahnen, dass dieser Schritt Teil einer Strategie ist, um nicht nur im «E-Document»-Geschäft Fuss zu fassen, sondern eine wegweisende wie dominierende Rolle in einem gewinnbringenden Geschäftszweig auf internationaler Ebene zu spielen.

2012 – ein Signal des Aufbruchs?

Trotz offensichtlicher Zeichen, dass innovative Entwicklungen das Ende des Buches als eine der grössten und wichtigsten kulturhistorischen Errungenschaften des Menschen vorbereiten, gibt es Signale, die sich als Hoffnungsschimmer für Bibliotheken und Dokumentationsstellen bzw. für Dokumentalisten werten lassen.

Die Globalisierung der Bibliothekswelt dokumentiert das Projekt «World- Cat», an dem sich nun auch der Informationsverbund Deutschschweiz (IDS) beteiligt, getragen von den Universitätsbibliotheken Basel und Bern. Dieser wegweisende Schritt in Richtung der weltweiten Vernetzung der Titeldaten einer Bibliothek bzw. der daran beteiligten Bibliotheken kann als ernsthafter Schritt bezeichnet werden, um der Monopolisierung der Information durch die weltweit operierenden Informationsanbieter Amazon und Google die Stirn zu bieten. Andererseits ist zu befürchten, dass dieser Prozess das Ende der lokalen Bibliotheken beschleunigen wird.

Ein weiteres hoffnungsvolles Signal verbindet sich mit dem Projekt «e-codes», getragen von der Universität Freiburg i. Ü. Die kooperativ organisierte Digitalisierung mittelalterlicher Handschriften aus den Beständen der Schweizer Bibliotheken und der damit verbundenen Schaffung einer virtuellen Handschriftenbibliothek Schweiz kann als konkreter Schritt verstanden werden, sich nicht der «Allmacht» monopolistischer Informationsanbieter auszusetzen. Längerfristig dürfte sich jedoch der Schweizer Markt als zu klein erweisen, damit dieses lobenswerte Vorhaben auch aus wirtschaftlicher Sicht überleben kann.

Eine verstärkte Präsenz der Bibliotheken im Internet auf «alternativen» Informationsplattformen muss grundsätzlich als Zeichen der Öffnung begrüsst werden, doch das Ende der heutigen Bibliotheksszene vermag dieser Schritt höchstens zu verzögern. Basierend auf der von O. Thiele verfassten Information sei auf das Beispiel der Zentralbibliothek Zürich verwiesen, welche seit kurzer Zeit ein Profil bei «Facebook» und «LibraryThing» präsentiert.

Bibliotheken als Museen? Dieses Szenario darf als Alptraum aller Bibliothekare bzw. Bibliothekarinnen interpretiert werden. Bereits heute stehen vielleicht viele Bibliotheken diesem Bild näher, als ihnen lieb ist! Weder die Marktkräfte noch der Selektionsprozess zur Schaffung überlebensfähiger Bibliotheken lässt sich aufhalten. «Degenerieren» Bibliotheken zu «Büchermuseen», dann sollte diese Entwicklung aus positiver Sicht beurteilt werden, d.h., es gilt den neuen kultur-historischen Stellenwert des «Büchermuseums» bzw. des «Bücherarchivs» zu erkennen und als Schnittstelle zwischen Bildungsgesellschaft und «e- Welt» neu zu definieren. Diese Entwicklungschance ist real, sie muss jedoch von den Verantwortlichen erkannt, genutzt und optimal ausgestaltet werden. Wer diesen evolutionären wie revolutionären Prozess verschläft, dem bietet sich kaum mehr eine zweite Chance, das Versäumte nachzuholen.

Nicht erst morgen, sondern bereits heute kämpft die klein gewordene Zunft der Dokumentalisten ums Überleben. Keine Frage, ihre Zukunft liegt nicht in mit physischen Dokumenten verbundenen Tätigkeiten, sondern liegt dort, wo sie seit je lag, nämlich im Handling mit Informationen! Der Ursprung dokumentarischer Tätigkeit lag nie in einem Abfallprodukt bibliothekarischer Aufgaben, sondern lässt sich auf fehlende Dienstleistungen im Umgang mit Information, d.h. auf das fehlende Angebot von Aufgaben rund um den Informationsinhalt zurückführen. Die dokumentarische Tätigkeit entspringt spezifischen Bedürfnissen von Forschung und Wissenschaft! Diese Bedürfnisse sind ungebrochen – im Gegenteil, angesichts der ungebrochenen Informationsflut müsste von einer branchenspezifischen Hochkonjunktur gesprochen werden. Die Realität widerspricht diesem Bild! Warum? Vielleicht, weil der durch das Internet anschwellende Informationsstrom einen grenzenlosen Zugang kennt und die Information seitens ihrer Nutzung dem Monopol entrissen hat!? Vielleicht, weil verkannt wird, dass zwischen Informationsflut und Informationsqualität sehr wohl ein «kleiner» Unterschied besteht!? Vielleicht, weil vergessen geht, dass gerade die Informationsflut sich als Ursache fehlender Information entpuppt, nämlich der fristgerechten Verfügbarkeit der richtigen Information!? Die virtuelle «e-Welt» bedarf in letzter Konsequenz keiner Dokumentationsstellen mehr – die Informationsbeschaffung in der virtuellen Welt degeneriert zum Knopfdruck, d.h. zur Aktivierung einer hochentwickelten, selbststeuernden Software für Recherchen.

Der Fortschrittsglaube macht blind! Erst spät wird erkannt, dass die Probleme rund um die Informationsflut nicht aufseiten der Benutzer gelöst werden müssen, sondern aufseiten der Produzenten! Information muss für den Benutzer «bekömmlich» gemacht werden, d.h., durch geeignete Massnahmen ist die Information derart anzureichern, dass sie möglichst zielgenau ihr Publikum bzw. ihren Kunden findet, d.h., Informationsbedürfnis und Informationsinhalt müssen adäquat und zeitgerecht zur Deckung gebracht werden. Die damit verbundenen Problemlösungen lassen sich nur aus dokumentarischer Sicht angehen. Vielleicht braucht es erst einen sogenannten «Informations-GAU», eine grenzenlose Überflutung mit «nutzloser» Information, um den wahren Kern der mit dem «GAU» verbundenen Probleme zu erkennen.

Heute bleibt kaum mehr als die Hoffnung, bis der wahre Stellenwert der dokumentarischen Tätigkeit wieder erkannt wird, so wie ihn Forschung und Wissenschaft in den 1930er Jahren geschaffen haben!

E-Welt: Benutzer im Clinch!

Das vorangehend skizzierte Szenario lässt erahnen, dass die Benutzer der ABD-Szene umfassenden Veränderungen ausgesetzt werden, deren Vor- und Nachteile nicht widersprüchlicher sein könnten. Das Aufblühen der digitalen Informationswelt hat in Verbindung mit dem Internet den Benutzern der ABD-Szene Türen zu einem kaum vorstellbaren Informationsvolumen geöffnet. Die Auswirkungen zeigen sich am Zerfall zweier klassischer Wertschöpfungsketten, nämlich jener vom Autor über den Verlag zum Buchhandel und zum Kunden sowie jener vom Autor über den Verlag zu den ABD-Institutionen bis zu ihren Kunden. Das Internet übernimmt in wachsendem Umfang die Brückenfunktion zwischen Autor und Benutzer bzw. zwischen Autor und Benutzer drängt sich ein global tätiger, kommerziell orientierter Informationsvermittler als Monopolist.

Hat die e-Welt in Verbindung mit dem Internet für den Benutzer die Tür zu einem globalen Informationszugang aufgestossen, so sieht sich der Benutzer in wachsendem Masse der Gefahr der globalen Monopolisierung des Informationsangebotes gegenüber, die von rein kommerziellen Interessen getragen wird. Dieser Prozess, angetrieben von Geld und Macht, könnte im Verbot der Herstellung von papiergestützten Dokumenten gipfeln. Diese Vorstellung wäre alles andere als «Fiktion», denn Natur- und Umweltschutz böten ein ausreichend starkes Argumentarium zur Zementierung eines Verbotes.

Der Buchdruck war mitverantwortlich für eine beispiellose Revolution von Bildung und Wissenschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Auch die e-Welt dürfte sich als Urheber einer imposanten Revolution in Bildung und Wissenschaft an der Wende vom zweiten zum dritten Jahrtausend erweisen. Hat der Buchdruck das Wissensmonopol der Klöster gebrochen, muss heute befürchtet werden, dass die e-Welt ein neues Monopol auf Angebotsseite zementieren wird! Ob die heutigen Benutzer der im Schwinden begriffenen ABD-Szene diese Gefahr erkennen werden, muss bezweifelt werden! So oder so, es wäre ratsam, sich ernsthaft Gedanken über die Gefahren der Verknüpfung von Geld und Macht auf Basis der e-Welt zu machen. Dies schliesst gar die Möglichkeit ein, dass sich ein solches Szenario als ideales «Spielfeld» für die Manipulation der Information erweisen könnte. Noch bleibt die Hoffnung, dass insbesondere die grossen Bibliotheken sich ihrer Rolle als nicht kommerzielle Kulturvermittler und -bewahrer erinnern und sich finden werden, um gemeinsam eine Front gegenüber dem kommerziell orientierten Monopol weniger In- formationsanbieter aufzubauen. Künftige Benutzer wie auch Bildung und Wissenschaft werden es ihnen danken.

Schlusswort

Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es wenig Argumente, welche ein «apokalyptisches» Zukunftsszenario stützen, viele jedoch, welche auf Krisen und Probleme hinweisen: Eine gesunde Distanz vom hohen Stellenwert des Jahres 2012 im Kreise der «Esoteriker» ist gerechtfertigt, wenn dieses Jahr als Symbol für einen nachhaltigen Wandel in Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft der Menschheit verstanden wird. Erst vor diesem Hintergrund ergibt die Aussage «die Infokalypse kommt», Sinn, und zwar bezogen auf ihren zu relativierenden Stellenwert. Ihr Umfang, ihre spezifischen Auswirkungen und die Art und Weise, wie die damit geschaffenen Probleme gelöst werden, lassen sich erst im Rückblick klar erkennen. Trotzdem kommt dem Blick in die Zukunft eine wichtige, zugleich aber provozierende Rolle zu: Nur auf dem Weg der Vorausschau, der Vorahnung, der Prognose oder der Trendanalyse kann der «Katastrophe» mit konstruktivem Denken und Handeln dämmend begegnet werden.

Die Zukunft findet morgen statt – ein chronischer wie verhängnisvoller Irrtum angesichts der Tatsache, dass wir bereits gestern erstmals über die Wurzeln der Zukunft gestolpert sind!

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Hans-Peter Jaun

Dokumentationsstelle SWTR, lic. phil. nat., University Professional (Nachdiplomstudium Papierkurator des Advanced Study Center der Universität Basel). 

Abstract

L’auteur esquisse un scénario «infocalyptique» qui pourrait bien se présenter à nous ... En effet, la situation actuelle du marché du travail, les turbulences irrationnelles des marchés financiers, les controverses violentes sur le secret bancaire, l’économie mondiale qui vacille sont autant d’indices qui signalent indubitablement une crise. Les politiciens et les dirigeants économiques semblent avoir perçu les signes du temps – tout au moins les conférences nationales et internationales témoignent-elles d’une noble volonté de faire face activement à cette crise et de ne pas simplement la subir avec étonnement. Prenant 2012 comme date critère popularisée par le calendrier maya, l’auteur se pose la question de la maîtrise du futur: rupture, décadence ou tournant? La question devient particulièrement pertinente en ce qui concerne la scène I+D, qui risque de connaître une crise existentielle inédite. Cela étant, malgré les annonces plus ou moins péremptoires de la fin du livre tel que nous le connaissons, de la mainmise de Google ou d’Amazon sur le marché de l’information, il existe des signaux qui donnent quelque espoir aux bibliothèques et centres de documentation. A condition bien sûr que les milieux concernés aient cette «vista» politique, économique et sociologique indispensable pour faire face aux grands défis en cours et, le cas échéant, éviter une «catastrophe».