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2010/2 Records Management in Verwaltung und Privatwirtschaft – ein neues Aufgabenfeld?

Records Management für kleine und mittlere Unternehmen?

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Werfen wir einen Blick auf aktuelle Publikationen zum Thema Records Management, so fällt schnell auf, dass privatwirtschaftliches Records Management meist im Kontext der Compliance diskutiert wird. Besondere Beachtung geniesst dieser Aspekt offenbar, weil oft davon ausgegangen wird, dass Compliance und Minimierung des Risikos diejenigen Argumente sind, die eine Geschäftsleitung noch am ehesten zu überzeugen vermögen, Investitionen in die Aktenführung zu tätigen.

Es ist wohl kein Zufall, dass sich auf­grund dieser Argumentation in erster Linie grössere, international tätige Un­ternehmen intensiv mit der Thematik auseinandersetzen, sind sie es doch, die in zunehmendem Masse mit regu­latorischen Vorgaben konfrontiert sind.

Wie verschiedene Surveys im deutschsprachigen Raum gezeigt ha­ben, gibt Compliance aber keineswegs allein den Ausschlag für Records ManagementRecords Management Survey Schweiz in ausgewählten Sektoren der Privatwirtschaft (2005/2006), Synthesebericht, hrsg. vom Ausschuss eArchiv des VSA und der HTW Chur, Fachbereich Informationswissenschaft, Chur 2006: http://www.vsa-aas.org/uploads/media/RMSurveySchweiz.pdf. Records Management – Aufbewahrungspraxis in der Schweiz. Wahrnehmung der regulatorischen Anforderungen und deren Umsetzung in Schweizer Unternehmen, hrsg. von Sieber & Partners und Kompetenzzentrum Records Management, Bern 2006. Kampffmeyer, Ulrich, Records Management market study for Germany, Austria and Switzerland. http://www.project-consult.net/Files/20081211_DLM%20Forum_RM_Market%20Study_Kff.pdf.. Viele Unternehmen sehen sich auch aus anderen Gründen ge­zwungen, die Aktenführung neu zu konzipieren. Zu erwähnen sind hier insbesondere Bedürfnisse zur Opti­mierung der Prozessqualität und des Informationsmanagements. So stellen wir fest, dass es durchaus unterschied­liche Perspektiven auf das Records Ma­nagement gibt.

Insbesondere in kleinen und mitt­leren Organisationen stehen solche Gründe meist am Anfang einer intensi­veren Beschäftigung mit der Ablage der Information. Im Folgenden soll diesen Gründen nachgegangen und aufgezeigt werden, inwiefern ein Records ­Management­ Programm in kleinen Unterneh­men dienlich sein kann und welche Implikationen dies für die Konzeption der Aktenführung hat. Schliesslich wer­den die wesentlichen Schritte zur Ein­führung von Records Management in einer kleinen Organisation skizziert.

Kleine und mittlere Organisationen haben spezielle RM 

Abgesehen von Unternehmen, die in besonders kritischen Branchen tätig sind (insbes. Pharma und Finanz­ dienstleister) sind viele KMU nur sel­ten in langwierige juristische Ausein­andersetzungen, in denen sie den Nachweis einer regelkonformen Ge­schäftsführung erbringen müssten, verwickelt. Gleichwohl ist in den letz­ten Jahren in vielen Organisationen der Druck, die Bewirtschaftung der Unter­lagen neu zu konzipieren, massiv ge­stiegen. Der Grund dafür ist meist, dass die Organisation der Unterlagen den einzelnen Mitarbeitern überantwortet worden ist und sich so schleichend eine hybride Aktenführung mit unzähligen Parallelablagen etabliert hat. Die Un­terlagen finden sich auf PCs der Mitar­beiterInnen, auf einem Server und nicht zuletzt in Papierform in diversen Ordnern. Wo die aktuellen und gülti­gen Unterlagen zu finden sind, ist oft nur noch mit grossem Aufwand festzu­stellen. Das Resultat ist nicht selten, dass dieselben Überlegungen mehr­mals angestellt werden müssen und die Einführung neuer Mitarbeiter ausge­sprochen aufwendig wird.

Records Management als Methode der Aktenführung könnte hier zum Teil Abhilfe schaffen. Damit diese Chance genutzt werden kann, darf die Ablage aber nicht nur aus der Perspektive der Compliance betrachtet werden. Eine umfassende Analyse der Informations­ bedürfnisse ist dazu eine notwendige Voraussetzung.

Records Management für weitere Bedürfnisse des Informationsmanagements nutzen? 

Wissensbasierte Unternehmen – und deren Anzahl wird je länger, desto grös­ser – leben davon, dass sie auf das in der Organisation einst erarbeitete Wis­sen wieder zurückgreifen können. Führt das Unternehmen seriöse Pro­jektdossiers, kann dies mit grosser Wahrscheinlichkeit gewährleistet wer­den. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass auch das Wissen darüber, welche Themen in einem Projekt bearbeitet worden sind, zugänglich ist. Nur zu oft zeigt es sich, dass solches Metawissen nur in den Köpfen der einzelnen Mit­arbeiter vorhanden ist. Eine seriöse Dokumentation der Projekte und ihrer Teilprojekte wäre also notwendig. Lei­der fehlt aber für die Erstellung einer solchen Dokumentation oft die Zeit. So liegt der Gedanke nahe, dass das in den ohnehin anfallenden Unterlagen fest­gehaltene Wissen auch genutzt werden sollte. Doch dies ist nur einer von zahl­reichen Nutzen, welche die in einer Unternehmung anfallenden Unterla­gen haben. Wie sich zeigt, muss die Organisation der Ablage von Anfang an auf die potenziellen Nutzen ausgerich­tet sein. Tatsächlich ist dies allzu oft nicht der Fall. Die Folgen davon sind meist verheerend: Bereits nach kurzer Zeit stellen die MitarbeiterInnen fest, dass sie die notwendigen Informatio­nen nicht finden können – und bereits beginnen sie, eigene Ablagen zu bilden, wo ihnen dann das notwendige Mate­rial zur Verfügung steht. Nicht wenige Records­ Management­ Projekte schei­tern daran, dass sie auf einer ungenü­genden Abklärung der tatsächlichen Informationsbedürfnisse aufbauen. Dies geschieht oft, da die Projekte sich zu schnell an den Möglichkeiten von technischen Systemen orientieren.

Vorgehen

Gehen wir also davon aus, dass sich die Bedürfnisse einer Aktenführung in ei­ner eigenen Organisation immer an den spezifischen Bedürfnissen der Or­ganisation zu orientieren hat. Com­pliance ist dabei ein Aspekt – andere Gründe können aber auch im Vorder­grund stehen. Darauf hat die Einführung der systematischen Aktenführung Rücksicht zu nehmen.

Das Australische Nationalarchiv hat vor Jahren einen umfassenden Leitfaden zur Einführung von Records Ma­nagement entworfen, der sich insbe­sondere für staatliche Verwaltungen bewährt hatNational Archives of Australia, DIRKS – A Strategic Approach to Managing Business Information, 2003. http://www.naa.gov.au/records-management/systems/dirks/index.aspx.. Grosses Gewicht wird da­bei auf die Analyse der spezifischen Situation der Organisation und deren Informationspraxis gelegt. Wie eine mögliche Adaption dieses Vorgehens­modells für kleinere Organisationen aussehen könnte, will ich im Folgenden kurz aufzeigen. Dabei nehme ich ge­wisse Modifikationen am Modell vor, um die Bedeutung der unterschiedli­chen Nutzungsperspektiven noch deut­licher hervorheben zu können.

In einem ersten Schritt müssen die Or­ganisation und ihr dazugehöriges Um­feld verstanden werden. Dieser Schritt trägt nicht nur dazu bei, Aufmerksam­keit für spezielle regulatorische Gege­benheiten zu entwickeln, sondern min­destens ebenso wichtig ist es, dass wir uns bereits hier mit der spezifischen Betriebskultur im Unternehmen selbst auseinandersetzen. Aus diesen Grün­den muss die Informationsbewirtschaftung je nach Kultur unterschied­lich ausgeprägt sein. Basierend auf ei­nem fundierten Verständnis der Orga­nisation gilt es, die Geschäftsleitung in das Projekt einzubinden.

In einem zweiten Schritt werden die spezifischen Informationsbedürf­nisse ermittelt. Hier gilt es, auch eine Risikoanalyse vorzunehmen: Was geschieht tatsächlich, wenn das Unter­nehmen nicht in der Lage ist, eine re­gelkonforme Aktenführung nachzu­ weisen? Wie hoch ist das Risiko, dass dieser Fall eintreten könnte? Wie hoch wird dann der Schaden sein?

Doch nicht nur dieses Risiko muss ein­ geschätzt werden, sondern es muss auch bestimmt werden, welcher Scha­den für die Organisation eintritt, wenn sie sich nicht mehr daran «erinnert», dass ein gewisser Entwicklungsschritt bereits schon einmal vollzogen worden ist, wenn sie z.B. nach dem Abgang ei­nes wichtigen Wissensträgers nicht mehr in der Lage sein sollte, auf ge­machte Erfahrungen zurückzugreifen.

Unmittelbar mit diesem Schritt der Analyse der künftigen Informationsbedürfnisse verbunden ist auch die Ermitt­lung der Informationsobjekte. Dieser Schritt ist meist ausgesprochen aufwen­dig, muss aber genauso seriös vorge­nommen werden. Wie sich ein Informationsobjekt zusammensetzt, ist keines­wegs selbstverständlich. Ein Beispiel: Soll mit der Aktenführung in erster Li­nie der Nachweis der korrekten Ge­schäftsabwicklung erbracht werden, drängt es sich auf, dass alle diesbezügli­chen Unterlagen eines Geschäfts zu­sammen das Informationsobjekt bilden.

Mit dazu gehören in diesem Fall insbe­sondere alle Records, die Nachweischa­rakter haben, also Evidenzwert aufwei­sen. In diesem Fall ist es unumgänglich, dass alle nachweisfähigen Records zu­sammen erhalten werden. Stehen hin­gegen andere Informationsbedürfnisse im Vordergrund, so würde sich ein sol­ches Informationsobjekt eventuell als zu gross erweisen. In einer kleinen Organi­sation, die wir beraten durften, zeigte sich z.B., dass der Nachweis wesentlich weniger wichtig ist als die Möglichkeit, auf die Ergebnisse einzelner kleiner Pro­zessschritte zuzugreifen. So werden die Dokumentationen dieser Ergebnisse zum zentralen Informationsobjekt. Oh­ne den Kontext des gesamten Geschäfts zu zerstören, muss das Hauptaugen­ merk auf diesen inhaltsrelevanten klei­ neren Informationsobjekten liegen.

Sind die Informationsbedürfnisse und die Informationsobjekte definiert, müssen in einem dritten Schritt die In­formationsobjekte in eine Struktur ge­bracht werden. Oft erweist es sich als ausgesprochen aufwendig, diese Struk­tur zu entwerfen. Nicht selten liegt der Grund dafür allerdings darin, dass ver­schiedene Organisationseinheiten sehr unterschiedliche Informationsbedürf­nisse haben. Wurde in den ersten Schritten diesem Umstand die gebüh­rende Aufmerksamkeit geschenkt, wird dann auch die Strukturierung einfacher fallen. Zu beachten ist, dass die Entstehungskontexte, die Aufgaben, im Laufe derer die Unterlagen erstellt worden sind, erhalten bleiben.

In einem vierten Schritt werden die Ab­läufe und Verantwortlichkeiten defi­niert. Kleine Organisationen werden oft nicht in der Lage sein, einen eigenen Records Manager zu beschäftigen. Um­ so wichtiger ist es, dass die einzelnen MitarbeiterInnen in die Lage versetzt werden, ihre Unterlagen selbstständig korrekt ablegen zu können. Die Regeln dazu sind in Organisationsvorschriften festzuhalten. Jedoch nicht nur der Ab­lage der Unterlagen muss Beachtung geschenkt werden, sondern auch deren weiteren Bewirtschaftung. Wissensre­levante Informationsobjekte werden oftmals aus betrieblichen Gründen län­ger vorgehalten werden müssen, als dies die gesetzlichen Vorgaben vor­schreiben. Die Aufbewahrungsfristen sind prospektiv zu definieren. Da diese Fristen häufig deutlich länger sind, als die Dokumente in ihrem ursprüngli­chen Format lesbar wären, ist es unum­gänglich, die Informationsobjekte als eigentliche Archivobjekte zu betrach­ten. Entsprechend ist zu empfehlen, sie bereits früh zu Archivinformationspa­keten zu «verschnüren». In aller Kürze: Die Objekte müssen zusammen mit deskriptiven wie auch technisch-­admi­nistrativen Metadaten zu stabilen Pake­ten (z.B. in einer ZIP­-Datei) zusam­mengefasst, validiert und in archiv­taugliche Formate umgewandelt wer­den. Das Records Management System wird selbst zum digitalen Archiv. So können sie auch – wie dies die Ge­schäftsbücherverordnung fordert – auf speziellen Datenträgern gesichert wer­den. Im vierten Schritt sind diese Ab­läufe zu definieren.

Erst jetzt ist es auch an der Zeit, über das technische System nachzu­ denken. Sehr oft wird davon ausgegan­gen, dass Records Management ein aufwendiges technisches System vor­aussetzt. Dem ist aber nicht zwingend so. Insbesondere in kleinen Organisa­tionen ist es durchaus sinnvoll, nach einfachsten technischen Lösungen zu suchen. Selbst auf einem Fileserver kann Records Management verwirk­licht werden, wenn die organisatorischen Massnahmen im Vorfeld seriös aufgegleist worden sindAn der HTW Chur haben wir im Rahmen eines Pilotprojekts ein einfaches System entwickelt, das es erlaubt, auf einem Fileserver abgelegte Unterlagen mit Metadaten zu versehen, prospektive Bewertungsentscheide zu hinterlegen und zu gegebener Zeit so aufzubereiten, dass sie halbautomatisch in ein digitales Repository überführt werden können. Vgl.: Müller, Christoph, Stettler, Niklaus, Digitale Langzeitarchivierung für kleine und mittlere Organisationen, in: 8th European Conference on Digital Archiving, Abstract Book, Bern 2010, S. 123.. Selbstver­ständlich sind mit einfacheren Lösun­gen auch gewisse Funktionalitätsein­bussen verbunden. So ist eine Versio­nenkontrolle ebenso problematisch wie die Einbindung von Dokumenten aus speziellen Systemen (z.B. E­Mails), die nur mit einem gewissen Aufwand zu be­werkstelligen sind. Doch auch hier gilt es, eine Aufwandabschätzung vorzu­nehmen: Die Bedeutung dieser Funktionalitäten ist vom Informationsbedürf­nis der Organisation abhängig. Steht die Nachweisfunktion im Vordergrund, ist zweifellos ein integriertes System zu wählen, kommt dieser Funktion jedoch eher sekundäre Bedeutung zu, sind auch Insellösungen für spezielle Doku­menttypen durchaus denkbar.

Fazit

Records Management kommt auch in kleineren Organisationen eine zunehmende Bedeutung zu. Um entspre­chende Projekte zum Erfolg zu brin­gen, müssen sie sorgfältig an die spe­zifischen Gegebenheiten und Bedürf­nisse der jeweiligen Organisation angepasst werden. Die technische Lö­sung ist dann zweitrangig. Selbst mit einfachen Mitteln kann bereits viel zur besseren Informationsbewirtschaftung beigetragen werden.

Abstract

Le records management est souvent discuté dans un contexte de conformité aux règles (compliance). Cela donne l’impression que la gestion documentaire, systématique et conforme aux règles est une problématique qui touche d’abord les grandes organisations actives sur le plan international.

En revanche, toujours selon ce point de vue, pour de nombreux organismes plus petits, le risque de s’engager dans de longues procédures juridiques, et avec elles, la nécessité de démontrer la conformité aux directives de la direction, est vu comme insignifiant. Néanmoins, même pour ces stuctures de plus petite taille, avec l’enregistrement hybride des dossiers, le besoin d’un management de l’information a augmenté massivement. C’est donc moins le problème de la conformité aux règles qui est posé, que celui de la prévention contre la perte des savoirs professionnels qui est au premier plan.

De manière constante, les organisations manifestent leur difficulté à pouvoir appréhender dans l’instant les connaissances acquises ou tout simplement leur difficulté à intégrer de nouveaux employés dans un délai raisonnable. La gestion systématique des dossiers et leur conservation dans le cadre du records management sont utiles dans les petites organisations orientées sur les savoirs. Elles font par conséquent de la préservation des savoirs, un enjeu fondamental.

Pour ce faire, il convient aussi de modifier le traitement des archives, et de les inscrire dans le cadre des fonctions d’une archive numérique. Grâce à une analyse claire des besoins futurs des utilisateurs, au prix d’une perte de confort, cela peut être réalisé avec des moyens techniques relativement simples. L’article expose comment dans les petites organisations le records management peut être organisé et profitable.