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2011/4 Kommunizieren wir!

Kundenkommunikation in Bibliotheken

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«Mami, wollen die eigentlich nicht, dass wir mit ihnen fahren?» In meiner Kindheit in den 70ern hatte ich oft das Gefühl, die städtischen Verkehrsbetriebe wären froh, wir würden Tram und Bus nicht benutzen. Die Durchsagen der Leitstelle, die Ansagen der Chauffeure und das Kontrollpersonal waren derart belehrend und wirsch, dass man den Eindruck bekam, die Grundhaltung des Unternehmens laute: «Ohne Passagiere könnte der Betrieb reibungslos funktionieren.» Irgendwann in meiner Jugend wandelte sich der Ton. Aus den Störenfrieden wurden umworbene Kunden. Und als die Kontrolleure plötzlich «Kundenberater» hiessen, war klar: Hier weht ein neuer Wind im Umgang mit der Kundschaft.

Sorgsame Kundenkommunikation: für Bibliotheken so wichtig wie noch nie. 

Stadt- und Gemeindebibliotheken sind, wie Tram und Bus, öffentliche Dienstleistungsunternehmen mit örtlicher Monopolstellung. Die vom Gemeinwesen mitgetragene Vormachtstellung verleitet gelegentlich dazu, die Kundenpflege zu vernachlässigen. Allerdings löst sich das lokale Monopol mehr und mehr durch globale Angebote auf. Internettauschbörsen, E-Book-Ausleihe, Musikdownloads und Video-on-Demand erlauben es dem Kunden, sich für alternative Anbieter zu entscheiden. Onlineangebote haben sogar den Vorteil, dass die Medien bequem von zu Hause aus bestellt werden können und nach Ablauf der Leihfrist nicht zurückgebracht werden müssen. Wir wissen heute nicht, ob Bibliotheken in zehn oder zwanzig Jahren noch gefragt sein werden. Im Kern ist eine Bibliothek einfach «ein Raum mit Content». Das reicht nicht aus, um die Kunden auf Dauer bei der Stange zu halten. Content – auch Wertvollen – gibt es in der Cloud mehr als genug, und das Internet liefert ihn innert weniger Sekunden an jeden realen Ort dieser Welt. Der gegenwärtige Wandel zwingt die Bibliotheken, dem Umgang und der Kommunikation mit der Kundschaft mehr Beachtung zu schenken.

Kundenkommunikation: nicht nur Kommunikation in Ausnahmefällen 

Es erweckt oft den Anschein, dass sich die Kommunikation von Bibliotheken mit ihrer Kundschaft auf Ausnahmesituationen beschränkt. Vorausschauende Kommunikation findet dann nur bei Abweichungen vom Normalbetrieb statt – wie beispielsweise bei eingeschränkten Öffnungszeiten in den Schulferien. Beschränkt sich eine Bibliothek auf diese Art der Kundeninformation, wird sie als Unternehmen mit vielen Einschränkungen oder gar Defiziten wahrgenommen – ungeachtet dessen, wie gut der Service tatsächlich ist.

Noch schlechter ist die Situation, wenn sich Kunden beklagen. Die Beispiele sind zahlreich: Kunden haben Medien vermeintlich rechtzeitig eingeworfen und werden doch gemahnt, Bücher wurden persönlich an der Theke zurückgebracht, aber versehentlich ohne Rückbuchung ins Regal gestellt etc. In solchen Fällen spielt es keine Rolle, wer im Recht ist und wie freundlich und akribisch nachgeforscht wird: Entweder der Kunde ist säumig und muss die «Gebührenkröte» schlucken, oder das Personal hat den Fehler begangen und die Bibliothek wird als – Zitat – «handgestrickter Laienbetrieb» wahrgenommen. In beiden Fällen bleibt beim Kunden ein bitterer Nachgeschmack zurück.

Laute Schüler beanspruchen die meiste Aufmerksamkeit – und brave erhalten kaum welche. Lehrpersonen kennen das Phänomen bestens. Gleich verhält es sich auch mit den Bibliotheksbesuchern: Denjenigen, die sich an der Theke, am Telefon oder per Mail beklagen, gilt die Beachtung. Wer in der Bibliothek seine gewohnten Bahnen zieht, die Medien am Selbstverbucher ausleiht und über den Medieneinwurf zurückbringt, wird nie persönlich angesprochen. Die Schulpflicht verhindert, dass sich die unbeachteten Schülerinnen aus dem Staub machen. Eine Bibliothekspflicht gibt es hingegen nicht. Und darum ist es wichtig, auch die Beziehung zur stillen Kundschaft bewusst zu pflegen. Sonst läuft sie am Ende noch davon.

Drei Schritte zur Entwicklung einer gezielten Kundenkommunikation

Kundenbefragung

Kundenkommunikation hat ein Ziel: Kundenbindung. Dies umso mehr, als die Gewinnung von Neukunden gemäss wirtschaftlichen Studien bis zu fünf Mal teurer ist als die Bindung der bestehenden Kundschaft. Die beste Kundenbindung ist eine ausgezeichnete Dienstleistung. Darum beginnt die bewusst geplante und zielgerichtete Kundenkommunikation mit einer umfassenden Kundenbefragung. Welche Medien und welche ergänzenden Bibliotheksservices werden von welchen Kundengruppen genutzt, geschätzt oder, falls nicht vorhanden, gewünscht? Wichtig ist auch, dass die Befragung darüber Auskunft gibt, auf welche Art die Kunden auf die Bibliothek aufmerksam geworden sind und über welche Kanäle sie sich als aktive Kunden über Angebote wie Neuanschaffungen und Veranstaltungen oder Einschränkungen des Betriebs z.B. während der Ferien informieren.

Aus der Auswertung einer Kundenbefragung lässt sich ein Medienmix für die Kundenkommunikation erstellen. Dieser zeigt auf, welche Kundensegmente über welche Kommunikationskanäle respektive -medien informiert werden müssen, damit alle stets bestens im Bild sind.

Beschwerdenanalyse

Ein weiterer wichtiger Schritt in der bewussten, proaktiven Kommunikation mit der Kundschaft ist die detaillierte Analyse der eingehenden Beschwerden und Anregungen. Abgesehen vom Beschwerdenmanagement, d.h. von der akribischen Prüfung jedes einzelnen Falls, ist es wichtig, gleich gelagerte Klagen genau zu untersuchen. Entweder es unterlaufen tatsächlich oft dieselben Fehler, oder die Kunden sind mit den Spielregeln zu wenig vertraut und tappen in ihnen unbekannte (Gebühren-)Fallen. Wer die Regeln kennt, bezahlt gewöhnlich anstandslos die Mahngebühren. Wer sie nicht kennt, fühlt sich ungerecht behandelt. Die Beschwerdenanalyse bildet also die Voraussetzung für das Herausdestillieren der tatsächlich kundenrelevanten Informationen. So bildet beispielsweise eine knapp gehaltene, leicht verständliche Broschüre «Unsere Bibliothek kurz erklärt» mit den für die Kundschaft wesentlichen Informationen die Basis für eine lange, problemlose Kundenbeziehung. Wichtig bei der Redaktionsarbeit ist, stets die Perspektive der Kundschaft im Auge zu behalten. Nicht die Arbeitsabläufe in der Bibliothek, sondern der Ausleihprozess aus Kundensicht bestimmen die Leserführung. Herkömmliche Benutzungsordnungen sind in trockenem Deutsch verfasste Regelwerke, die von den Kundinnen und Kunden wahrscheinlich in den seltensten Fällen wirklich gelesen werden.

Bedürfnisse und Emotionen

Was für alle Unternehmen weltweit gilt, ist auch für Bibliotheken von Bedeutung: Kundenbindung heisst im Wesentlichen Bedürfnisse generieren und Emotionen wecken.

Bibliotheken bieten heute viel mehr als nur «Biblios». Der Content ist multimedial geworden und die Infrastruktur facettenreicher. Neben Freihandbestand, Katalog- und Lesesaal gehören Computerstationen, Internetzugang (WLAN), Arbeitsplätze, Abspielgeräte für CDs oder DVDs und vieles mehr zum Service einer Bibliothek. Querverkauf (Cross Selling) heisst das Zauberwort. Jemand, der nur Bücher ausleiht, wird leichter zur Konkurrenz – z.B. zum Buchhandel – wechseln als jemand, der in der Bibliothek auch Zeitungen liest, die ruhige Atmosphäre in der Leselounge schätzt und gelegentlich die Computer zum Surfen im Internet nutzt. Je mehr Angebote ein Kunde nutzt, desto enger ist die Bindung zu seiner Bibliothek. Aufgabe der Kundenkommunikation ist es also, das Bedürfnis nach einem umfassenderen Bibliotheksservice zu generieren. Nur wenn es gelingt, die Kundschaft vom wertvollen, fein aufbereiteten, breit gefächerten, multimedialen Inhalt und der modernen Kommunikationsinfrastruktur zu überzeugen, wird es auch in Zukunft einen Markt für das Produkt «Bibliothek» geben.

Ohne Emotionen ist eine Bibliothek ein öder Ort mit Inhalt – mehr nicht. Doch Menschen mögen das Spezielle. Die Werbung zeigt, wie es geht: Nur wenige Menschen geben sich mit einer beliebigen Zahnpasta zufrieden. Sie sollte schon rundum schützen, in klinischen Tests am besten abgeschlossen haben und uns ein strahlendes Lächeln ins Gesicht zaubern. Bibliotheken können sich heute nicht mehr damit begnügen, dass die Kundschaft einzig und alleine aufgrund der Monopolstellung vorbeikommt. Wenn aber «für die persönliche Auszeit nur das Beste» (Werbung für Wellnessproduk- te) in den Regalen steht und Ausleihen als «stilvolle Sparsamkeit» (Werbung für Waschmaschinen) zelebriert wird, entsteht eine emotionale Kundenbindung. Erreicht eine Bibliothek im Vergleich mit anderen auch noch einen guten Platz, sind sicher viele Kunden glücklich darüber, zum erlesenen Kreis zu gehören. In Abwandlung des Kommunikationsleitsatzes von Hilfswerken «Tue Gutes und sprich darüber» heisst es für Bibliotheken: «Leiste Gutes und berichte deiner Kundschaft leidenschaftlich davon!»

Heute ziert mein Tram sogar das Q-Qualitätslabel des Schweizer Tourismusverbands, und ich bin – selbst eingepfercht im Stossverkehr – ein bisschen stolz darauf, dass ich es täglich benutzen darf.

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Mathias Kippe

Verantwortlicher Kommunikation, Pestalozzi-Bibliothek Zürich 

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Les relations avec les clients sont devenues primordiales pour les entreprises, notamment pour les entreprises de service public comme les bibliothèques. En effet, l’offre de médias (e-books, films, musique, etc.) et leur accessibilité sont telles que les bibliothèques ne doivent pas se contenter de les mettre à disposition: un usager mécontent n’est en effet pas obligé de revenir. Les bibliothèques doivent donc être attentives aux besoins de leur clientèle et entretenir de bonnes relations avec cette dernière. L’auteur propose trois étapes pour construire une relation digne de ce nom: 1. Une enquête pour déterminer quel canal d’information les clients privilégient, quel service est plus ou moins utilisé et pourquoi, etc., afin d’ajuster son offre aux besoins des clients. 2. Une analyse des réclamations pour cerner l’origine du problème: le client est-il mal informé des conditions ou la bibliothèque a-t-elle fait des erreurs? 3. Générer des besoins et susciter des émotions, car sans émotions une bibliothèque est peut-être un lieu avec du contenu, mais sans âme. La devise adoptée par les organisations d’entraide en matière de communication est «Fais le bien et parles-en», pour les bibliothèques, elle pourrait être «Fournis un bon service et parles-en passionnément à la clientèle!»