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2013/4 Linked Open Data Big Data - Alles vernetzt

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Nach nur zweijähriger Entwicklungszeit haben Mitte September 2013 fünf Bundesämter das Open-Government-Data-(OGD-)Pilotportal opendata.admin.ch eröffnet und den rund sechsmonatigen Pilotbetrieb gestartet, während dem noch Daten des Kantons Zürich und weiterer Bundesstellen aufgeschaltet werden. In dieser Zeit wird auch politisch und praktisch über die weitere OGD-Politik zu entscheiden sein.

Am 16. September 2013 hat der Bund anlässlich der Open Knowledge Confe­rence in Genf sein Open-­Government­-Data-­(OGD­)-Pilotportal mit 1617 Daten­ sätzen und vier Anwendungen der Öf­fentlichkeit vorgestelltopendata.admin.ch. Kontrolle aller Links: 23.–27.9.2013.. Die zentral verfügbar gemachten Daten stammen vom Schweizerischen Bundesarchiv BAR, dem Bundesamt für Statistik BFS, dem Bundesamt für Landestopografie swisstopo, dem Bundesamt für Meteo­rologie und Klimatologie Meteo-Schweiz und der Schweizerischen Nationalbibliothek NB. Während der Testphase von rund sechs Monaten werden noch Daten des Kantons Zürich und anderer Bundesämter dazukommen. In dieser Zeit wird gleichzeitig eine schweizerische Open-­Government-­Data­-Strategie formuliert, die Überführung des Pilot­portals in ein definitives schweizeri­sches Portal vorbereitet und die Mass­nahmen für dessen dauerhaften Betrieb beschlossenVgl. dazu den Bericht des Bundesrates zu Open Government Data vom 13. September 2013 (www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=50250)..

Die Schweiz ist kein OGD­-Trendsetter, aber der Weg zum Pilotportal war doch ein erstaunlich kurzer: Von der ersten OGD-­Konferenz im Bundesarchiv 2011 bis zum Launch in Genf hat es nur zwei Jahre gedauert. Der Weg ist gesäumt von verschiedenen Hackdays und wichtigen Publikationen zu OGD in der Schweiz sowie einer Abklärung zum Potenzial volkswirtschaftlicher WertschöpfungAndré Golliez et. al.(2012): Open Government Data Studie Schweiz, Bern (www.itopia.ch/repository/Publikationen/OGD_Studie_ Schweiz_Juni_2012.pdf ); Beat Estermann (2013): Schweizer Gedächtnisinstitutionen im Internet-Zeitalter. Ergebnisse einer Pilotbefragung zu den Themenbereichen Open Data und Crowdsourcing, Bern (www.wirtschaft.bfh.ch/de/forschung/institute/e_government_institut/tabs/publikationen.html). Adelheid Bürgi-Schmelz (2013): Wirtschaftliche Auswirkungen von Open Government Data. Verfasst im Auftrag des Bundesarchivs (www.bar.admin.ch/aktuell/index.html?lang=de).. Aktive Akteure waren der Verein opendata.ch und die parla­mentarische Gruppe Digitale Nachhal­tigkeit, die das Thema auf die politi­sche Agenda gebracht hatOGD als priorisiertes E-Government-Vorhaben B2.12 (www.egovernment.ch/de/umsetzung/katalog_vorhaben.php) resp. in der Diskussion um das neue Meteorologiegesetz (vgl.www.meteoschweiz.admin.ch/web/de/meteoschweiz/portrait/datenliberalisierung.html).. Parallel dazu wurde unter der Leitung des Bun­desarchivs pragmatisch dieses Pilot­ portal realisiert, welches sich als Tatbe­weis für eine wirtschaftliche Machbar­keit in das E­Government-­Vorhaben integriert.

Was sind offene Behördendaten?

Offene Behördendaten sind frei zu­ gängliche und wiederverwertbare Datenbestände öffentlicher Verwaltun­gen, welche diese in Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben sammeln. Die­se Datenbestände sind umfangreich, in der Regel von hervorragender Qualität und enthalten wertvolle Informationen zu unterschiedlichsten Themen auch jenseits des ursprünglichen VerwendungszwecksVgl. dazu Golliez, wie Fussnote 3, S. 5. Die Studie weist auf die grosse Bedeutung unterschiedlichster Datenbestände etwa im Umwelt-, Gesundheits- oder Verkehrs- und Kommunikationsbereich hin..

Damit interessierte Dritte diese Daten direkt und frei verarbeiten können, dürfen keine datenschutz­, informati­onsschutz­ oder urheberrechtlichen Einschränkungen bestehen; am besten sollten sie unter einer einheitlichen Lizenz nutzbar seinZ.B. Creative Commons, die Praxis ist heterogener (vgl. andere Datenportale, wie data.gov.uk/ oder www.govdata.de/). Die konkrete rechtliche Ausgestaltung in der Schweiz ist noch in Arbeit.. Sie müssen zu­ dem klar beschrieben sein und tech­nisch in einer Form vorliegen, die ein­fache Weiterverarbeitung überhaupt ermöglicht. Gemäss einem Fünf­Sterne­ Anforderungskatalog1 müssen sie demnach im Web auffindbar und strukturiert sein, in nicht proprietären Formaten vorliegen, eine URI haben und verlinkbar sein, d.h. beispielswei­se im Resource Description Frame­work (RDF)RDF ermöglicht «logische Aussagen über beliebige Dinge» und ist «ein grundlegender Baustein des Semantischen Webs» (vgl. dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Resource_Description_Framework).vorliegen. 

Was für eine Bedeutung haben offene Daten – speziell auch Linked Open Data – für Archive? Grundsätzlich un­terliegen alle offenen Behördendaten einer Archivierungspflicht. Wenn sie öffentlich zugänglich bleiben, muss ei­ne angemessene Archivierungslösung auf dem Konzept einer ununterbroche­nen Nutzungsmöglichkeit aufbauen. Fragen des Zugangs und auch der Er­schliessung stellen sich damit neu. Gleichzeitig eröffnet diese Entwick­lung für Archive neben einem enormen Modernisierungspotenzial die Mög­lichkeit, ihr spezielles Fachwissen in den Dienstzeitgemäss standardisierter Katalogisierung und Sammlung von Daten über Daten einzubringen, um Orientierung zu schaffen und allen Interessierten Zugang zu Informationen zu eröffnen. Gleichzeitig kann Archiv­ gut produktiv in einen offenen Daten­ raum integriert und an andere Infor­mationen im oder ausserhalb des Ar­chivs anschlussfähig gemacht werden. Archivgut zu digitalisieren und zu da­tafizierenDas BAR ist beispielsweise daran, die bereits digitalisierten Staatsrechnungen seit 1848 zu datafizieren, damit interessierte Forschende diese nicht nur konsultieren, sondern auch direkt auswerten und bearbeiten können. Das Risiko von «Fehlinterpretationen» besteht, aber Fehlinterpretationen gab und gibt es auch bei nicht offenen und nichtverlinkten Daten.braucht zwar einen nicht zu unterschätzenden Aufwand, verspricht aber erfreuliche Erfolgsaussichten.

Nicht zuletzt eröffnen Linked Open Data ebenfalls wesentlich einfachere Wege für archivische Kooperation in freier Form, ohne dass für jedes Projekt neuer Aufwand betrieben werden muss und jedes Update einer Datenbank zu einem ressourcenmässigen Flaschen­ hals wird. Archive gewinnen damit an Flexibilität und Archivgut kann wesent­lich besser valorisiert werden – mögli­cherweise auch auf neue, aber kreative und spannende Art und Weise. Archiva­rinnen und Archivare müssen dabei al­lerdings auch einen Kontrollverlust in Kauf nehmen: Daten offen anbieten heisst, dass wir nicht mehr bestimmen können, was damit geschieht – aber das ist ohnehin nicht unsere Aufgabe. Umso wichtiger wird damit aber unser Beitrag zur Authentizitätsgarantie, welche nach wie vor nur die Archive leisten können.

Offene Behördendaten: ein Angebot und ... 

Was ist der Nutzen frei verwendbarer Daten? Das legitimatorische Mantra ist kurz: Offene Behördendaten stärken die Transparenz sowie die demokrati­sche Partizipation. Auch haben sie ein grosses Potenzial für (volks­)wirtschaft­liche Wertschöpfung, selbst wenn die Schätzungen hier weit auseinanderge­henEU-Schätzungen nennen rund 40 Milliarden, das Spektrum ist nach oben offen. Allerdings ist nicht einfach vergleichbar, was genau unter Public Sector Information verstanden wird und auf welchen Annahmen die Berechnungen beruhen. Vgl. dazu mit zurückhaltend-vorsichtigem Ansatz und trotzdem positivem Schlussergebnis Bürgi-Schmelz, wie Fussnote 3.. Neue Business­-Modelle werden sich entwickeln und bereits jetzt profi­tieren beispielsweise die Medien vom sogenannten DatenjournalismusBeispielsweise: Artikel zum Beschaffungsfilz (Ex-Beamte profitieren vom Filz, Sonntagszeitung 25.11.2012, S. 7), Karte zum Hochwasser-Risiko in der Schweiz (www.sonntagszeitung.ch/fileadmin/dj/vis/flut_soz/flutsoz.html) in der Sonntagszeitung, die NZZ-Sommerserie mit verschiedenen Schweizerkarten (www.nzz.ch/aktuell/schweiz/ende-der-sommerserie-schweizer-karten-1.18130619) bzw. die Datenseite von Le Temps (www.letemps.ch/datas/) alle mit häufig starkem Echo in den Social Media..

Ebenso gewinnen öffentliche Ver­waltungen intern durch offene Behör­dendaten an Effizienz: Teilen der vor­handenen Daten dank Standardisie­rungen, bessere Qualität durch mehr Nutzung und intensivere Nutzung durch den Wegfall verwaltungsinterner Verrechnungen. Einnahmeausfälle für einzelne Amtsstellen können nicht al­lein durch volkswirtschaftliche Wert­schöpfung kompensiert werden, son­dern müssen im Budget der Verwal­tungsstellen ausgeglichen werden.

Ein staatspolitisch­demokratischer Nut­zen ergibt sich aus der zusätzlichen Transparenz. Die Forderung nach offe­nen Behördendaten schliesst sich dem Diskurs um das Öffentlichkeitsprinzip an, grenzt sich aber gleichzeitig klar von Wikileaks ab. Auch steht und stand die Forderung nach mehr Transparenz immer in einem spannungsvollen Verhältnis zur Arkanpolitik. Seinen Anfang nahm dieses Spannungsfeld aber nicht mit der vielzitierten Publika­tion der Schulstatistik des Manchester Guardian von 1821Leitbilder in der Diskussion um offene Daten sind immer The Manchester Guardian, 5. Mai 1821, Publikation einer Liste von Schulen in Manchester und Salford mit Angaben zu Schüleranzahlen sowie den Jahresdurchschnitt an Ausgaben (vgl. z.B. www.nzz.ch/aktuell/digital/open-data-republica-13-1.18078390#); anderes klassisches Beispiel sind die Mortalitätsstatistiken mit Diagrammen von Florence Nightingale aus dem Krimkrieg von 1858 (www.theguardian.com/news/datablog/2010/aug/13/florence-nightingale-graphics#)., sondern lässt sich anhand des Beispiels der (amtlichen) Statistik über die ganze (europäische) Geschichte verfolgen. Informations­monopolisierung von Daten und ande­ren Dokumenten ist stets ein Herr­schaftsmittel, und so galt auch die Veröffentlichung von Statistiken als Verrat, der mit dem Tod bestraft wer­den konnte. Nichtsdestotrotz wurden im Laufe der Zeit immer mehr statisti­sche Werke publiziert, nicht zuletzt in propagandistischer Absicht, und statis­tische Bevölkerungsdaten zirkulierten im 18. Jahrhundert ziemlich frei unter den Gelehrten und Pfarrherren über die Staatsgrenzen hinaus. 

Die konkrete Wirkung offener Daten auf die politische Diskussion ist aller­dings nicht einfach zu ermitteln; auch mag man bezweifeln, ob die Publikati­on von Wetterdaten oder der Fliessge­wässertemperaturen – wie in der bei Berner Badenden beliebten Aare­-App – politische Partizipation fördert. Wenn auch positive nichtökonomische Wir­kungen und lebenspraktische Erleich­terungen mehr dem Wohlergehen als dem Gemeinwohl (welfare effects) die­nen, tragen sie doch zum «grössten Glücks der grössten Zahl» (Jeremy Bentham) bei.

... eine Herausforderung

Was sind mögliche Risiken und Neben­wirkungen? Bürgerinnen und Bürger mit qualitativ hochstehenden Daten und Informationen in die Lage zu ver­setzen, die Begründungen politischer Entscheidungen besser zu verstehen, sich selber eine eigene Meinung zu bil­den oder überhaupt wohlbegründete Entscheidungen zu treffen – mit ande­ren Worten: durch intellektuelle An­strengung aus möglicher Unmündig­keit herauszutreten –, ist ein hehres Anliegen. Offene Daten ersetzen aller­dings das Denken nicht. Technisch frei kombinierbare Daten ergeben nicht automatisch inhaltlich zulässige Aussa­gen. Es muss immer ernsthaft geprüft werden, ob eine Kombination dekon­textualisierter Daten zu logisch über­zeugenden Ergebnissen führt. Jede Diskussion wird offen, der Umgang mit Daten überprüfbar und Resultate können fundiert bestritten, korrigiert oder gar widerlegt werden. Damit geht die Pflicht einher, die neuen Möglich­keiten mit Sorgfalt und Respekt zu nut­zen. Diskussionen werden sich von Fragen nach blossen Facts & Figures auf Methodenfragen verschieben: Was ist eine zulässige Argumentation? Was kann gesagt werden?Berühmtes Beispiel ist die Reinhart-Rogoff- Debatte um die Studie Growth in a Time of Debt, in der sich weltwirtschaftliche Ratschlä-ge als Ergebnis von falschen Formeln und unklar begründeter Datenauswahl bei der Modellbildung entpuppte – wie es die New York Times zugespitzt formulierte: in der Wirtschaftsexpertise von Excel-Expertise abhing. Vgl. dazu u.a. Paul Krugman, The Excel Depression, New York Times, 18. April 2013 (www.nytimes.com/2013/04/19/opinion/krugman-the-excel-depression.html?_r=0). 

Es kann als Aufgabe des Staats ver­standen werden, Voraussetzungen für eine aktive Partizipation von Bürgerin­nen und Bürgern zu schaffen: Daten sind nicht einfach Belege einer Mei­nung, sondern Rohstoff zur Meinungs­ bildung und müssen sich im Licht an­derer Daten behaupten. OGD ist somit Teil einer Wissensinfrastruktur, die präventiv gegen Uninformiertheit und strukturell, nicht individuell begründe­tes Unwissen wirken sollWillke, Helmut (1996): Die Steuerungsfunktion des Staates aus systemtheoretischer Sicht. Schritte zur Legitimierung einer wissensbasierten Infrastruktur. In Staatsaufgaben (hg. von Dieter Grimm), S. 685–711. Frankfurt/M..

Unsere Gesellschaft braucht aber nicht allein offene Behörden-­, Wissenschafts-­ und anderen Daten, sondern auch in­telligente Information. Das umfasst sowohl Inhalte aus verlässlichen Quel­len als auch Instrumente mit transpa­renter Funktionsweise. Wir brauchen nicht bloss informationelle, sondern auch algorithmische AutonomieRainer Kuhlen (1999): Die Konsequenzen von Informationsassistenten. Was bedeutet informationelle Autonomie oder wie kann Vertrauen in elektronische Dienste in offenen Informationsmärkten gesichert werden? Frankfurt/M (www.kuhlen.name/MATERIALIEN/Publikationen1995-2000/informationsassistenten.pdf ).. Aus­serdem braucht es über die offenen (Behörden­)Daten hinaus auch einen offenen Geist. Im herrschenden Zwang zu argumentativer Auseinanderset­zung kann der Staat dazu beitragen, dass alle gleich gute Voraussetzungen zur Partizipation haben. Dazu braucht es aber auch eine Haltung, wie sie Vol­taire zugeschrieben wird: «Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Le­ben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.»Evelyn Beatrice Hall (Pseudonym Stephen G. Tallentyre) (1906): The Friends of Voltaire (vgl. http://de.wikiquote.org/wiki/Voltaire). Wenn nicht nur die Daten, sondern auch der Geist offen ist, dann haben wir etwas Positives erreicht. 

Andreas Kellerhals ouvre la 8e Conférence européenne sur l’archivage numérique, Genève, 28-30 avril 2010

Andreas Kellerhals

Andreas Kellerhals ist seit dem 1. November 2004 Direktor des Schweizerischen Bundesarchivs. Er hat Neuere Allgemeine Geschichte, Architekturgeschichte und Staatsrecht studiert. Er beschäftigt sich schwerpunktmässig mit Themen der digitalen Archivierung und des Informationsmanagements. Seine letzte Publikation hat sich mit der Zukunft des Archivs befasst: Kellerhals, Andreas, «Les Archives à l’ère de la société de l’information: entre tradition et modernité», in: Servais, Paul und Mirguet, Françoise, L’archive dans quinze ans: Vers de nouveaux fondements, Louvain, 2015.

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Après seulement deux années de développement, cinq offices fédéraux ont publié à la mi-septembre le portail-pilote Open Government Data (OGD) opendata.admin.ch et ont démarré ainsi un projet d’environ six mois durant lesquels seront ajoutées les données du canton de Zurich et d’autres offices fédéraux. Cette même période devrait permettre de décider de l’orientation politique et pratique de la stratégie de l’OGD. L’OGD possède le potentiel – surtout sous sa forme en réseau, Linked Open Data – de transformer profondément l’archivage, aussi bien du point de vue de la permanence de la disponibilité des données que de celui de leur description et de leur organisation. Le patrimoine archivistique s’intègre dans un espace de données ouvertes. Ce potentiel de modernisation ne doit pas nous faire perdre de vue les risques et effets secondaires. Les données ouvertes représentent aussi un défi et une obligation pour leurs utilisateurs: il est également nécessaire de recourir, parallèlement aux données ouvertes, à des outils transparents, et de faire preuve d’un esprit ouvert.