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2016/4 Zeigt euch!

«Gemeinsames Engagement und starke Verbände sind der Schlüssel für viele Erfolge.»

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Interview mit Paul Rechsteiner, geführt von Daniela Rüegg.

Herr Rechsteiner, Sie sind Ständerat, eine Instanz der Schweizer Sozialdemokraten und oberster Gewerkschafter des Landes – und nun haben Sie am BIS-Kongress teilgenommen. Aus welchen Gründen?

Ich bin selber ein leidenschaftlicher Leser und verdanke Bibliotheken biografisch viel. Bibliotheken gehören zu den wichtigen Lebenslinien der Gesellschaft. Sie ermöglichen den Zugang zu Bildung, Wissen und Kultur unabhängig von der Herkunft. Und als Ständerat stehe ich politisch an einem Ort, wo es möglich ist, auch wirksam Einfluss zu nehmen.

Was sind Ihre Eindrücke von dieser für die bibliothekarische Fach-Gemeinschaft wichtigen Veranstaltung?
Ich erlebte eine attraktive Ballung von Kompetenz und Engagement. Daraus kann viel entstehen.

Für Archive und Bibliotheken ist die laufende Revision des Urheberrechts ein zentrales Anliegen. Wie verfolgen Sie diese Revision?
Verschiedene Interessengruppen sind schon an mich herangetreten, zum Beispiel auch die bildenden Künstlerinnen und Künstler. Bis zur Beratung im Parlament wird aber noch einige Zeit verstreichen. Ich verfolge aber die Diskussionen.

Bibliotheken gehören zu den wichtigen Lebenslinien der Gesellschaft.

Im Zuge der Revisionsdiskussion wurde beantragt, ein Verleihrecht auf analoge und digitale Medien einzuführen, eine sogenannte Bibliothekstantieme. Die Befürworter sehen das als eine Möglichkeit, die Urheber von Werken angemessen zu vergüten, Bibliotheken fürchten immensen Aufwand und weisen die Bibliothekstantieme als untauglich ab. Wie beurteilen Sie dieses Instrument? 

Im Schweizerischen Gewerkschaftsbund sind verschiedene Verbände von Kulturschaffenden organisiert. Vertreten sind beispielsweise auch Autorinnen und Autoren. Ich erhielt deshalb bereits einen lebendigen Eindruck von den Zielkonflikten. Ich bin jetzt gespannt auf die Auswertung der Vernehmlassung und den Richtungsentscheid des Bundesrates für die Botschaft ans Parlament. Das ist dann die Basis für meine Meinungsbildung.

Sparmassnahmen auf Kantons- und Gemeindeebene betreffen in vielen Fällen auch Bibliotheken: Anschaffungsetats müssen gestaucht und Stellen eingespart werden. Es stellt sich die Frage, ob Bibliotheken ihren Wert gegenüber Entscheidungsträgern besser verkaufen könnten und/oder müssten. Könnten Bibliotheken mit einem besseren Lobbying Budgetkürzungen verhindern oder zumindest abmildern?

Angesichts des massiven Spardrucks ist es wichtig, sich zu vernetzen und in geeigneter Weise einzubringen. Empfehlenswert ist immer ein überparteiliches Vorgehen. Es hilft, wenn in jeder Partei Engagierte gefunden werden können, die sich engagieren. In der Öffentlichkeit muss ausserdem das Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass Bibliotheken zur Basis-Infrastruktur des Gemeinwesens gehören. Die Vernetzung mit den Bildungsinstitutionen und -organisationen ist oft hilfreich. 

Können Sie Bibliotheken konkrete Massnahmen empfehlen, um auf sich und ihre Sache aufmerksam zu machen?

Da kommt es sehr auf die örtlichen und regionalen Verhältnisse an. Bibliotheken haben in der Bevölkerung grundsätzlich einen guten Rückhalt. Wichtig ist es deshalb, die Bedeutung eines guten Bibliotheksangebots immer wieder offensiv und selbstbewusst zum Ausdruck zu bringen. Wenn das mit Freude und Engagement geschieht, ist das eine gute Basis für Erfolge. Das ist nicht viel anders als im Sport.

Empfehlenswert ist immer ein überparteiliches Vorgehen.

Der Kanton St. Gallen hat als einziger Kanton ein Bibliotheksgesetz. Dieses Gesetz wurde nicht zuletzt deswegen erarbeitet, weil ein Komitee eine Bibliotheksinitiative gestartete hatte – eine Idee, die Sie öffentlich geäussert hatten. Wie waren Sie danach involviert in die Debatte und die Entstehung des Gesetzes?

Die Initiative war die Antwort darauf, dass der Kantonsrat im Rahmen einer massiven Sparpolitik das lange Jahre vorbereitete Projekt für eine grosse zentrale Publikumsbibliothek in der Hauptpost St. Gallen beerdigte. Zunächst herrschte bei den Beteiligten eine grosse Konsternation und Depression. Als es uns aber gelang, eine breite Gruppe von Interessierten zusammenzurufen, entstand plötzlich eine enorme Aufbruchsstimmung. Und weil politische Mehrheiten in einem komplizierten Kanton wie St. Gallen nur gefunden werden können, wenn alle Regionen einbezogen werden, war die Antwort ein Bibliotheksgesetz, das die Bibliotheken quer durch den Kanton fördert. Dieser Ansatz führte zum Erfolg. Die Umsetzung braucht allerdings noch einiges an Energie. Aber die Publikumsbibliothek in der Hauptpost wurde sofort ein Renner, auch wenn sie vorläufig nur ein Provisorium ist.

Auch in anderen Kantonen hätten Bibliothekare gerne ein solches Gesetz und die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der allgemeinen öffentlichen Bibliotheken SAB hat 2011 das Projekt «Initiative Bibliotheken Schweiz» (IBS) gestartet, mit dem Ziel, dass in allen Kantonen Bibliotheks-Initiativen lanciert werden. Erfolge sind noch nicht sichtbar. Was hat St. Gallen besser gemacht?

Es war die herausfordernde Konstellation und das Verdienst vieler Engagierter aus ganz unterschiedlichen Kreisen. Der Satz ist zwar abgedroschen und oft auch problematisch, doch hier wurde die Krise für einmal zur Chance.

Wieso braucht es ein Bibliotheksgesetz? 

Weil Gesetze da, wo es auf staatliches Handeln ankommt, die Basis für eine aktive Förderung sind. 

Vernetzung mit Bildungsinstitutionen ist hilfreich.

Sie sind Mitglied der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur WBK. Sind Bibliotheken und Archive dort je ein Thema?  

Bei der Beratung der Kulturbotschaft gelang es im Ständerat am Schluss der letzten Legislatur, in einer überparteilichen Koalition eine kleine bibliotheksbezogene Krediterhöhung durchzusetzen. Das war mit eine Voraussetzung dafür, dass der gesamte Rahmenkredit für die kommenden Jahre gegen alle Sparanträge erfolgreich verteidigt werden konnte. In diesen schwierigen Zeiten alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Am Anfang dieser Bemühungen stand das Engagement des Stiftsbibliothekars von St. Gallen. Auch das zeigt, dass aus Kleinem Grösseres wachsen kann. Auf nationaler Ebene ist die Voraussetzung für Erfolge, dass auch die Interessen der anderen Landesteile mitberücksichtigt werden. In der neuen Legislatur, die allerdings noch jung ist, waren die Bibliotheken noch kein grösseres Thema. Im Vordergrund standen in den letzten Sessionen die grossen Bildungskredite.

Auf Ihrem Blog geben Sie auch mal Lesetipps. Haben Sie auch einen für die Archivare und Bibliothekare, die sich für ihre Institutionen einsetzen wollen?
Da wäre ich als Amateur, Amateur allerdings im Wortsinn von Liebhaber, gegenüber Profis wohl nicht der Richtige. Wichtig scheint mir die Botschaft, dass das gemeinsame Engagement und starke Verbände der Schlüssel für viele Erfolge sind, die sonst nicht einfach möglich wären. Das ist auf dem Feld der Arbeitsbedingungen und der sozialen Sicherheit ja auch eine gewerkschaftliche Grunderfahrung. Am Bibliothekskongress habe ich den Eindruck gewonnen, dass es auf Ihrem Feld enorm viel Kompetenz und Engagement gibt. Wenn dieses Engagement intelligent gebündelt wird, entsteht daraus eine grosse Kraft. Ich bin jedenfalls sicher, dass die Bibliotheken nicht nur eine grosse Vergangenheit, sondern auch eine grosse Zukunft haben. Auch in Zeiten der Digitalisierung und grosser medialer Veränderungen. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. 

Rechsteiner Paul 2016

Paul Rechsteiner

Der St. Galler Paul Rechsteiner (geboren 1952) ist Rechtsanwalt, Ständerat und seit 1998 Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Er studierte in Fribourg und Berlin. Seit 1980 ist er als selbständiger Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Arbeitsrecht, Strafrecht, Sozialversicherungsrecht tätig. Seine politische Laufbahn nahm 1977 mit der Wahl in den Gemeinderat der Stadt St. Gallen Fahrt auf. Von 1984 bis 1986 war er Mitglied des St. Galler Kantonsrats, bevor er in den Nationalrat gewählt wurde. Seit 2011 ist er Ständerat. Dort ist Paul Rechsteiner Mitglied der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur, der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen sowie der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit.