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2017/1 Das Potenzial der Vielfalt

«Sie, der da stinkt!» – Vom Umgang mit Kundschaft am Rande der Gesellschaft

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Gerade als öffentliche Bibliothek sind wir mit dem Thema Diversität konfrontiert. Einerseits was unsere Medien und Dienstleistungen angeht, andererseits auch auf einer menschlichen Ebene. Unsere Kundschaft ist sehr heterogen. Die öffentliche Bibliothek wird im französischen Sprachraum als «bibliothèque pour tous» bezeichnet. Wirklich für alle? Ein Bericht von allzu Menschlichem aus der PBZ Pestalozzi-Bibliothek Zürich.

Bibliothèque pour tous?

Sind wir öffentliche Bibliotheken Institutionen für alle? Grundsätzlich ja. Das steht in unseren Leitbildern. Gerade das macht auch das Faszinierende an unserem Beruf aus, denn wir haben es mit Menschen jeglichen Alters und Herkunft zu tun. Sich einzufühlen in die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kundschaft ist herausfordernd und bereichernd.
Nun kann es aber Friktionen geben, zwischen den Kunden untereinander und zwischen der Kundschaft und den Mitarbeitenden. Es ist hier die Rede von den Menschen, die sich an den Rändern unserer Gesellschaft befinden. Auch sie sind grundsätzlich willkommen in unserer Bibliothek. Wir sind nicht nur eine Kultur- und Bildungsinstitution, sondern auch eine soziale Institution.

Bibliothek als Wärmestube

Die PBZ Pestalozzi-Bibliothek wurde 1896 auch aus einem Wohlfahrtsgedanken heraus gegründet: Der Arbeiterschaft sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich weiterzubilden und die Freizeit sinnvoll zu gestalten. Im Kriegsjahr 1940 wurden die Quartier-Lesesäle der Pestalozzi-Bibliothek gar auf die Liste der städtischen Wärmestuben gesetzt.1 So wurde ein Aspekt des sozialen Auftrages ganz klar gegen aussen vermittelt. 
Auch heute noch dienen unsere Bibliotheken als Wärmestuben und Aufenthaltsräume – welche Bibliothek in grösseren Ballungszentren kennt das nicht? Es sind vor allem die PBZ-Bibliotheken Altstadt und Oerlikon, die zentral gelegen sind, eine gewisse Grösse haben und dadurch auch Anonymität bieten. Zu uns kommen Kunden, die nicht nur unser Angebot an Medien, sondern die Bibliothek vor allem dafür nutzen, ihren Alltag zu strukturieren und eine Bleibe tagsüber zu haben. Oft kann man diese Bedürfnisse abdecken, ohne dass sich andere Kundensegmente negativ betroffen fühlen. 
Schwierig wird es indes, wenn sich diese Menschen häuslich einrichten und unangenehm auffallen. Es wird berichtet von Kunden, die ihre Socken im Lavabo des Kunden-WCs waschen und auf den Heizkörpern in der Bibliothek trocknen lassen. Von Kunden, die ihre Körperpflege betreiben und die Toiletten dementsprechend hinterlassen. Wir sehen solche, die ihr Hab und Gut in Plastiktüten mitschleppen. Und es gibt solche, die halt eben nicht so gut riechen, weil sie ihr Leben sonst auf der Strasse verbringen.

Die zentral gelegene PBZ Altstadt an der Zähringerstrasse ist nicht nur Bibliothek, sondern auch eine einladende Wärmestube.

Kooperation mit anderen sozialen Einrichtungen

Hier mussten wir aktiv werden. Es kann nicht sein, dass andere Kunden nicht mehr (gerne) zu uns kommen, weil sie sich nicht mehr wohl fühlen aufgrund anderer Besucher. Wir nahmen Kontakt auf mit sozialen Einrichtungen in der Stadt Zürich, mit einer kirchlichen und mit einer städtischen: mit dem Café Yucca der Zürcher Stadtmission und mit dem city-Treffunkt des Stadtzürcher Sozialdepartementes. Es sind beides Institutionen, die niederschwelligen Zugang für Randständige bieten: Man bekommt günstiges Essen, kann seine Kleider waschen oder erhält neue, bekommt Beratung (sofern gewünscht), man kann sich dort aufhalten, ohne sich erklären zu müssen. Uns war es wichtig, die Menschen nicht einfach auf die Strasse zu stellen, sondern ihnen eine Alternative aufzuzeigen. Und die gibt es. 

Vereinbarungen treffen

Es fand ein Briefing durch eine Sozialarbeiterin statt. Wichtig ist, den Randständigen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen, sie in ihren Anliegen ernst zu nehmen. Aber auch mit ihnen Vereinbarungen zu treffen, an die sie sich zu halten haben. So haben wir unsere Hausordnung angepasst. Es steht nun: 
«Besucherinnen und Besucher nehmen aber Rücksicht aufeinander und haben sich so zu verhalten, dass andere Kunden und der Bibliotheksbetrieb nicht gestört (z.B. durch Lärm- und Geruchsemissionen) sowie Medien und Bibliothekseinrichtung nicht beschädigt werden…
Das Mitführen von Gepäckstücken ist nicht gestattet.»

Wir haben damit eine Handhabe, der Kundschaft die Regeln bekannt zu machen und diese auch einzufordern. Es sind nicht immer einfache Gespräche. Als hilfreich hat sich der Beistand der SIP (Sicherheit, Intervention und Prävention) der Stadt Zürich erwiesen. Sie haben die Gespräche zum Teil begleitet und wohl auch zur Verbesserung der Situation beigetragen. Die Gespräche verliefen erfreulicherweise einvernehmlich. Auch Randständige sind interessiert daran, ein Teil der Gesellschaft zu sein. Sie tun ihr Mögliches, um sich anzupassen und nicht aufzufallen.
Die PBZ eine Bibliothek für alle? Ja, aber es gibt gewisse Regeln, an die man sich zu halten hat. Nur so funktioniert ein Miteinander. Eigentlich selbstverständlich.

Mattmann Gabriela 2017

Gaby Mattmann

Gaby Mattmann ist Chefbibliotherkarin und Mitglied der Geschäftsleitung der PBZ Pestalozzi-Bibliothek Zürich. Sie ist zudem Leiterin der PBZ Altstadt an der Zähringerstrasse im Zürcher Niederdorf.

  • 1 Siehe: 100 Jahre Pestalozzi-Bibliothek 1896-1996. Festschrift zum Jubiläum der Pestalozzi-Bibliothek Zürich, S. 143

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Die PBZ Pestalozzi-Bibliothek Zürich die allgemeine öffentliche Bibliothek der Stadt Zürich. Sie ist eine Bibliothek für alle und ihre Räumlichkeiten laden zum Verweilen ein. Die zentralen, grösseren Standorte, die eine gewisse Anonymität bieten, werden auch von Randständigen genutzt, die weniger an den Medien interessiert sind. Weil andere Kunden sich beschwerten und die Bibliotheksmitarbeitenden den Umgang mit den Randständigen manchmal schwierig fanden, hat die PBZ eine Sozialarbeiterin für Schulungen geholt. Dank Informationsaustausch und Kooperation mit sozialen Einrichtungen können die Randständigen an alternative Anlaufstellen weitergewiesen werden. Zudem wurde die Hausordnung angepasst, damit klare Regeln kommuniziert werden können, an die sich alle zu halten haben.