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2017/4 Zusammenarbeit

VSA-Fachtagung 2017 – Archive für alle!

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Am 15. September 2017 fand in Schaffhausen die diesjährige Fachtagung des VSA statt. Mehr als 130 Personen nahmen an der Tagung zum Thema „Archive für alle! Durch Vermittlung neues Publikum erreichen“ teil.

Wie schon in den letzten Jahren wurde die Fachtagung mit der Jahresversammlung des VSA zusammengelegt. Dadurch wurde Schaffhausen sowohl am 14. wie auch am 15. September 2017 von zahlreichen Archivarinnen und Archivaren besucht. Gastgeber waren dieses Mal das Staats- und das Stadtarchiv Schaffhausen, welche die Besucher in der Rathauslaube mit einem abwechslungsreichen Programm begrüssten. Die Fachtagung wurde in diesem Jahr durch den Bildungsausschuss in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv Wallis konzipiert und durchgeführt. Zwei Keynotes, mehrere kürzere Referate und Podiumsdiskussionen sorgten für eine abwechslungsreiche Tagung.

Was ist die Rolle von Archiven?

Bereits in ihrer Begrüssung identifizierte die VSA-Präsidentin Claudia Engler das Spannungsfeld für die Diskussionen der Fachtagung. Archive für alle, dass bedeutet im Kern die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Grundaufgaben der Archive. Archive sind – so Claudia Engler – auch Kulturerbe und Vermittlung diene damit nicht nur dem Marketing, sondern mache eben dieses Kulturerbe auch sichtbar. Vermittlung sei aber nie nur Inszenierung, ebenso wichtig ist die Partizipation. Claudia Engler mahnte auch: Archive sollten – bei aller Begeisterung für die vielen Möglichkeiten der Vermittlung – nicht zur Eventlocation werden, bei der die Inszenierung die Inhalte überdeckt.

Ein grösseres Publikum in der digitalen Welt

Jean-Yves Le Clerc von den Archives Ille-et-Vilaine in Frankreich stieg mit seinem Keynote-Referat direkt in die vielen Möglichkeiten der Vermittlung ein. Dabei legte er den Schwerpunkt darauf, wie Vermittlung in einer digitalen Welt für Archive neu gedacht werden muss. In seinem Referat führte er aus, dass es heute weniger um die «médiation», sondern vielmehr um die «promotion» und – schliesslich – um die «valorisation» von Archivgut geht. Diese Begrifflichkeiten spiegeln – auf Französisch fast deutlicher – die neuen Schwerpunkte von archivischer Vermittlung. Die „Wertigkeit“ der angebotenen Inhalte wird hier mit Nachdruck gelebt. Jean-Yves Le Clerc zeigte, wie wichtig es ist, für das Publikum sichtbar zu sein. Dabei rückt natürlich zunächst das Angebot online in den Blickpunkt, wo die Archive von Ille-et-Vilaine heute ein Vielfaches an Besuchern auf ihrer Webseite begrüssen als im Lesesaal. Nicht nur die Unterlagen selbst, auch Ausstellungen im Archiv erhalten online eine längere Lebensdauer. Viel Nachdruck legte Jean-Yves Le Clerc auf neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit in der Vermittlung mit Kommunikationsspezialisten, IT-Start-ups, den Digital Humanities, aber auch mit den lokalen Tourismusbehörden.

Diskussion der Keynotes mit V. Schweizer, J. Strauss, A. Dubois, J.-Y. Le Clerc und T. Schmid

Von Museen lernen

Im zweiten Keynote-Referat stellte Jacqueline Strauss, die Direktorin des Museums für Kommunikation in Bern die Erfahrungen aus der Konzeption der neuen Dauerausstellung des Museums vor, die diesen Herbst eröffnet wurde.
Von Anfang an stellte das Museum den Mensch ins Zentrum der neuen Ausstellung, nicht die Technik. Die neue Dauerausstellung soll den Besucherinnen und Besuchern erlauben, unterschiedlich tief ins Thema einzusteigen: Aus dem Erlebnis wird Erfahrung und dann Erkenntnis.
Als wichtig erachtet Jacqueline Strauss die Ausrichtung des Angebots auf definierte Zielgruppen, das Museum richtet sich damit auf seine Besucherinnen und Besucher aus. Auch buchbare, fixfertige Pakete, zum Beispiel für den Besuch mit Schulklassen, machen das Angebot für Lehrpersonen zugänglicher. Die Entscheidung für Vermittlung ist immer auch eine strategische Entscheidung, für die Ressourcen bereitgestellt werden müssen. Für die neue Dauerausstellung hat das Museum für Kommunikation auch eine neue Berufsgruppe geschaffen, die „Kommunikatoren“, welche mit den Museumsbesuchern interagieren und damit nicht nur Aufsichtspersonen, sondern auch VermittlerInnen sind. „Vermittlung ist nicht die Kirsche auf der Torte sondern das Backpulver im Teig“, so Jacqueline Strauss.

Podium mit H. Bazak, N. Graf, J.-Y. Le Clerc und D. Reynard

Konkrete Beispiele für Vermittlung

Nach den Keynotes wurden in kürzeren Referaten konkrete Beispiele für Vermittlung vorgestellt.
Nicole Graf von der ETH-Bibliothek stellte das Crowdsourcing-Projekt für die Verbesserung der Metadaten der Bildsammlung der ETH-Bibliothek vor (siehe auch den Artikel zu diesem Projekt im arbido 2/2016). Deutlich wurde hier, wie der Erfolg des Projektes auch eine Erwartungshaltung beim Publikum schuf: Neue Wege bei der Benutzerbetreuung sind gefragt. Hier setzt die ETH-Bibliothek auf Interaktion mit den Benutzern, nämlich durch einen Blog und auch über Treffen in der realen Welt mit den Freiwilligen des Crowdsourcings.
Heike Bazak gab Einblicke in die Ergebnisse des Oral-History-Projekts Wir, die PTT des PTT-Archivs. Die neu geschaffenen Inhalte, nämlich die Interviews mit Mitarbeitenden der Post, reichern die Bestände des Archivs an und werden auch in Workshops mit Schulen und Lernenden der Post verwendet. Das Archivmaterial und die Interviews werden auf einer Online-Plattform präsentiert. Neben der Sicherung von Erinnerungen von (ehemaligen) Mitarbeitenden stellte Heike Bazak fest, dass das Projekt eine grössere Sichtbarkeit des PTT-Archivs nach aussen (für Archivbesucher), aber auch zur Organisation der Post als „Aktenbildner“ und Benutzer des Archivs ermöglicht.
Jean-Yves Le Clerc thematisierte die Möglichkeit von Spielen als Vermittlungsinstrument. Im Zentrum stand dabei das Angebot Classe 1914 – Ne m’oubliez pas, einer Webdokumentation mit der Inhalte zum ersten Weltkrieg aus dem Archiv spielerisch vermittelt werden. Realisiert wurde diese Plattform mit externen Entwicklern.
Die Schulprojekte des Staatsarchivs Wallis wurden von Denis Reynard präsentiert. Er legte den Schwerpunkt auf die Kontinuität des Angebots. Neben Angeboten, zum Beispiel für den Ferienpass, strebt das Staatsarchiv Wallis an, die Schülerinnen und Schüler nicht nur ein einziges Mal im Archiv zu begrüssen, sondern im Verlaufe der Schulkarriere auf die Altersgruppen ausgerichtete Angebote zu schaffen. Diese beginnen mit einer allgemeinen Führung und werden dann in den folgenden Schuljahren mit Ateliers zu Paläographie und der Lektüre und Übersetzung von lateinischen Dokumenten ausgebaut.
Die Schaffung des Erlebniszentrums nest zum Jubiläum von Nestlé als Schaufenster des historischen Archivs war für dessen Leiter Albert Pfiffner eine Gelegenheit, die Vermittlung der Archivinhalte in den Mittelpunkt zu stellen. Albert Pfiffner stellt fest, dass das Zentrum zu neuen Kontakten und auch zu mehr Angeboten von Archivgut ans Archiv führt. Die Vermittlung ist als nicht nur Angebot, sondern auch Anreiz für eine vertiefte Beschäftigung.
Verena Schweizer gab einen Einblick in Archivpädagogikprojekte in Deutschland. Dabei zeigte sie, wie wichtig auch hier Kooperationen ausserhalb des Archivs sind. Archivarinnen und Archivare sind keine Pädagogen und so wird in vielen Archiven eine Zusammenarbeit mit Lehrpersonen gesucht. Als wichtig bezeichnete Verena Schweizer dabei insbesondere die Anschlussfähigkeit der Angebote an die geltenden Bildungspläne der Schulen. Dies vereinfache die Einbettung der Archivbesuche von Schulen in den Lehrplan. Und wenn auch hier digitale Angebote immer wichtiger werden, hinterlasse insbesondere die Beschäftigung mit „Originalen“ im Archiv einen bleibenden Eindruck bei Kindern und Jugendlichen.

Podium mit D. Reynard, V. Schweizer, A. Pfiffner und E. Contesse

Zugang oder Vermittlung – oder doch beides?

In den Dikussionen während den Podien und nach den Referaten zeigte sich, wie anregend die gebotenen Inputs und Beispiele waren. Vermittlung als archivische Aufgabe wurde denn auch kontrovers diskutiert. Wie werden Archive zu Archiven für alle? Wie stellen wir aufbereitete Inhalte für ein breites Publikum zur Verfügung? Gewinnen wir dieses Publikum so dauerhaft als Nutzer? Zudem zeigte sich, dass die Rolle der Vermittlung nicht unumstritten ist. So wurde die Frage des Kosten-Nutzen-Verhältnisses und der benötigten Ressourcen immer wieder gestellt. Sollten Archive nicht eher in den Zugang zum Archivgut investieren, um so die Nutzung der Archivinhalte für eine Vielzahl von Interessierten sicherzustellen? Und auch der Vergleich zwischen Archiv und Museum regte zu kritischen Fragen an: Warum sollten Archive zu zweitklassigen Museen werden, wenn sie erstklassige Archive sein können? Hier tat sich das Spannungsfeld zwischen Sammlung und Dokumentation und der Vermittlungsaufgabe an sich auf. Und auch die Digitalisierung hinterliess Spuren in der Diskussion: Gibt es einen Widerspruch zwischen «hands-on» und Online-Vermittlung?

Erkenntnisse

Wenn wir „Archive für alle“ sein oder werden möchten, dann – so ein mögliches Fazit zur diesjährigen Fachtagung – braucht ein Archiv zuallererst Klarheit über die Ziele der Vermittlung. Sonst laufen wir Gefahr, dass wir uns verzetteln und vor lauter Angeboten, die Inhalte und den Zweck des Archivs aus den Augen verlieren. Bei der Entwicklung von neuen Ideen sollten wir die analoge und die digitale Welt über die Vermittlung verbinden und nicht gegeneinander ausspielen. Vermittlung heisst auch immer Verpflichtung, da neue Angebote auch Erwartungshaltungen bei unserem Publikum schaffen. Es gilt – auch hier – die Zusammenarbeit mit Fachleuten aus anderen Bereichen zu suchen, denn wir können als Archivarinnen und Archivare nicht Expertinnen für alles sein. Von den an der Fachtagung gezeigten Beispielen konnte man aber viel Inspiration mit nach Hause nehmen.

Alle Referate der Fachtagung sind auf der Webseite des VSA zugänglich: Fachtagung 2017.

Marguérite Bos

Marguérite Bos

Marguérite Bos arbeitet seit 2006 im Schweizerischen Bundesarchiv. Von Mitte 2014 bis Mitte 2021 war sie Redaktionsmitglied bei arbido.

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Die Fachtagung 2017 des VSA stellte die Vermittlung in den Mittelpunkt. Unter dem Thema „Archive für alle! Durch Vermittlung neues Publikum erreichen“ wurden die Möglichkeiten und die Aufgabe der Vermittlung im Archiv kritisch reflektiert.