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2020/3 Grüne Welle

Urheberrecht schützt Kulturerbe vor Auswirkungen des Klimawandels

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Am diesjährigen Welttag des geistigen Eigentums haben Archiv-, Bibliotheks- und Museumverbände die Weltorganisation für geistiges Eigentum in einem offenen Brief aufgefordert, griffige Massnahmen zum Urheberrecht zu ergreifen, um das Kulturerbe vor dem Klimawandel zu schützen.

Fünf grosse Verbände sind am 26. April 2020, am Welttag des geistigen Eigentums, mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit getreten. Sie fordern die Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO) auf sicherzustellen, dass Urheberrechtsgesetze die Erhaltung des Kulturerbes unterstützen statt behindern. Der Klimawandel bedrohe das Kulturerbe in direkter Weise, das Fehlen einer angemessenen Urheberrechtsgesetzgebung verstärke diese Bedrohung zusätzlich. Ohne Massnahmen auf nationaler und internationaler Ebene bestehe die Gefahr, dass Gedächtnisinstitutionen ihre Sammlungen nicht für die Zukunft erhalten können.

Erstunterzeichner des Appels sind der International Council of Archives (ICA), die International Federation of Library Associations and institutions (IFLA), der International Council of Museums (ICOM), die Society of American Archivists (SAA) und die Electronic Information for Libraries (EIFL).
Ihre Forderung: Alle WIPO-Mitgliedstaaten müssen über Urheberrechtsgesetze verfügen, die es erlauben, Kulturgut zu bewahren. Ein Schlüsselinstrument dafür sind Sicherungskopien, die in der Gesetzgebung verankert sein müssen. Nur so können Gedächtnisinstitutionen wie Archive, Bibliotheken und Museum ihre Aufgabe wahrnehmen, das Kulturerbe für künftige Generationen zu sichern.

Gerald Leitner, IFLA-Generalsekretär, erklärt konkret: «Bibliotheken haben eine Schlüsselaufgabe, die Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft zu sichern. Angesichts des Klimawandels und seiner Auswirkungen ist es wirklich dringend notwendig, unsere Sammlungen zu erhalten, aber wir können dies nur tun, wenn es das Gesetz erlaubt. Die WIPO und ihre Mitgliedstaaten haben sowohl die Möglichkeit - als auch die Pflicht - zu handeln»

Wie sind Urheberrecht und Klimawandel verbunden?

Die Auswirkungen des Klimawandels auf das kulturelle Erbe sind vielfältig. Sie können graduell sein, so beschleunigen zum Beispiel Temperaturveränderungen den Abbau von Baumaterialien, und der Anstieg der Meeresspiegel greift Kulturstätten am Wasser an. Sie können aber auch plötzlich geschehen, denn der Klimawandel begünstigt extreme Wettereignisse wie Stürme und Überschwemmungen und erhöht die Wahrscheinlichkeit von grossflächigen Bränden.

Mit dem hitzebedingten Zerfall einer Schriftrolle oder dem Verfall eines historischen Gebäudes verschwindet nicht einfach nur ein Objekt. Die Verbände erinnern in ihrem Appel daran, dass der Verlust von Kulturerbe wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Kosten nach sich zieht. Museumssammlungen, architektonisch wertvolle Bauten oder archäologische Stätten ziehen Touristen an. Diese und ihre Portemonnaies bleiben weg, wenn das Kulturerbe zerfällt. Bauten, Urkunden, Artefakte sind auch Bezugspunkte für die lokale Identität. Gehen sie verloren, droht der Verlust von Sozialkapital und das Vertrauen schwindet. Kulturgut zu bewahren bedeutet folglich nicht, Kunst um der Kunst willen zu erhalten.

Urheberrechte können keine irreversiblen Verluste verhindern. Aber sie machen Sicherungskopien möglich, und solche stehen neben Ausbildung, Ausrüstung und Gebäuden im Mittelpunkt der Schutzbemühungen. Sicherungskopien sind unerlässlich um zu gewährleisten, dass die Werke auch in Zukunft erhalten bleiben, selbst wenn der ursprüngliche physische Träger verloren gehen sollte.

Flickenteppich von Gesetzen

«Da die Auswirkungen des Klimawandels immer häufiger auftreten, wird unser Erbe weiterhin unwiederbringliche Verluste erleiden», bedauert Winston Tabb, Leiter der Bibliotheksdelegation im Appell-Komitee: «Tragischerweise geschieht dies bereits in vielen Ländern. Diesen Bedrohungen für unser kollektives Gedächtnis kann man durch die Herstellung von Sicherungskopien begegnen, aber das globale Flickwerk uneinheitlicher, nicht vorhandener und unangemessener Urheberrechtsgesetze steht dem im Wege.»

Denn die Anfertigung von Sicherungsexemplaren – auch, aber nicht nur durch Digitalisierung – impliziert stets Urheberrecht. Wo es keine eindeutige Regelung gibt, die das kostenlose Kopieren ohne explizites Einverständnis des Urhebers erlaubt, sind Archive, Bibliotheken und Museen mit einer, so die Verbände «inakzeptablen Komplexität» konfrontiert. De facto sind sie so oft nicht in der Lage, ihrer Erhaltungsaufgabe nachzukommen. Die Entscheidung, was bewahrt werden soll, wird dann dadurch beeinflusst, welche Genehmigungen einfach eingeholt werden können, anstatt durch den tatsächlichen konservatorischen Bedarf oder das öffentliche Interesse.

Wenn Werke, Gebäude und andere Materialien bereits verloren gegangen sind, wird die Wiederherstellung durch den Zugang zu Beschreibungen, Fotografien oder anderen Quellen erleichtert. Solche helfen bei der Restaurierung oder bei einem eventuellen Wiederaufbau. Auch hier ist der Zugang und die Nutzung viel einfacher, wenn adäquate Urheberrechtsgesetze in Kraft sind.

Situation heute

Für die fünf initiierenden Organisationen ist klar: Gegenwärtig sind die Urheberrechtsgesetze dieser Aufgabe nicht gewachsen. In 51 Ländern auf der ganzen Welt gibt es keine grundsätzlichen Urheberrechtsausnahmen für die Erhaltung. Das bedeutet, dass jegliches Anfertigen von Sicherungskopien effektiv illegal ist, es sei denn, eine Gedächtnisinstitution holt dafür eine explizite Genehmigung ein – und muss dafür möglicherweise bezahlen.

In 136 Ländern gibt es zwar Ausnahmeregelungen für Sicherungsexemplare, aber 73 Länder schränken das konservatorische Kopieren auf eine Weise ein, die die Digitalisierung wirksam verhindert.
Infolgedessen ist in 124 Ländern auf der ganzen Welt die Digitalisierung zur Erhaltung ohne Genehmigung nicht erlaubt. Selbst in Ländern mit digitalfreundlichen Ausnahmen können andere Einschränkungen gelten, zum Beispiel die Verpflichtung, abzuwarten, bis der Verlust eines Werkes «unmittelbar bevorsteht», oder es muss zuerst nach kommerziell erhältlichen Kopien gesucht werden.

Situation in der Schweiz

Ausnahmeregelungen gelten auch in der Schweiz. Das Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) hält unter Art. 24 «Archivierungs- und Sicherungsexemplare» fest:
«1 Um die Erhaltung des Werks sicherzustellen, darf davon eine Kopie angefertigt werden. Ein Exemplar muss in einem der Allgemeinheit nicht zugänglichen Archiv aufbewahrt und als Archivexemplar gekennzeichnet werden.

1bis Öffentliche sowie öffentlich zugängliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Sammlungen und Archive dürfen die zur Sicherung und Erhaltung ihrer Bestände notwendigen Werkexemplare herstellen, sofern mit diesen Vervielfältigungen kein wirtschaftlicher oder kommerzieller Zweck verfolgt wird.»

Die Lösung ist international

Es ist wesentlich, dass der Appell an die WIPO von internationalen Verbände kommt. Denn sowohl Klima wie Kulturgüterschutz kennen keine Landesgrenzen. Ein entscheidendes Hindernis für den effizienten Schutz des Kulturerbes ist der Mangel an supranationaler Legislation. Es fehlt an Gesetzen, die es Gedächtnisinstitutionen erlauben, auf globaler Ebene zu arbeiten und Erhaltungsnetzwerke zu bilden. Die Unterzeichner des offenen Briefes fordern darum: «Institutionen des Kulturerbes brauchen dringend ein internationales Rechtsinstrument mit klaren Regeln, das die Erhaltung von Sammlungen, auch über Grenzen hinweg, ermöglicht. Die WIPO allein hat das Mandat, diesen globalen Standard zu setzen, und nur die WIPO kann die grenzüberschreitenden Probleme lösen.»

#FixCopyrightForHeritage

Der offene Brief ICA, IFLA, ICOM, EIFLund SAA in Englisch und Französisch.
Der Brief kann sowohl von Institutionen wie Privaten unterzeichnet werden. Nutzen Sie dafür dieses Formular.
Die Liste aller Unterzeichnerinnen und Unterzeichner ist hier zu finden.

Marty Sara 2014

Sara Marty

Sara Marty ist wissenschaftliche Archivarin und Projektleiterin bei archivsuisse in Kehrsatz/Bern. Von 2011 bis Ende 2020 arbeitete sie im Dokumentationszentrum doku-zug.ch, das sie ab 2017 als Geschäftsführerin leitete und 2020 in die Stadt- und Kantonsbibliothek Zug überführte. Von 2015 bis 2022 war sie Chefredaktorin von arbido.

Elle a étudie à Lausanne et obtenu sa Licence ès Lettres en 2004. Quoi qu'elle soit rentrée en Suisse alémanique peu après, elle profite toujours de chaque occasion qui se présente pour aller en Romandie. Après avoir travaillé quelques années en marketing et puis comme journaliste, elle a trouvé sa vocation dans le champ professionnel de l'information documentaire. Von 2012 bis 2014 hat sie das Weiterbildungsprogramm in Archiv-, Bibliotheks- und Informationswissenschaften der Universitäten Bern und Lausanne absolviert und den Titel Master of Advanced Studies in Archival, Library and Information Science (MAS ALIS) erhalten. Ihre MAS-Masterarbeit trägt den Titel «Schweizer Dokumentationslandschaft im Wandel: die Suche nach einem Berufsverständnis».

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Am diesjährigen Welttag des geistigen Eigentums haben Archiv-, Bibliotheks- und Museumverbände die Weltorganisation für geistiges Eigentum in einem offenen Brief aufgefordert, griffige Massnahmen zum Urheberrecht zu ergreifen, um das Kulturerbe vor dem Klimawandel zu schützen.

À l'occasion de la Journée mondiale de la propriété intellectuelle de cette année, les associations d'archives, de bibliothèques et de musées ont publié une lettre ouverte appelant l'Organisation mondiale de la propriété intellectuelle à prendre des mesures efficaces de droit d'auteur pour protéger le patrimoine culturel du changement climatique.