E-Belletristik: lesen, was man kriegen kann
In der Wissenschaft ist digitale Literatur Alltag geworden, und seit der Frankfurter Buchmesse 2008 dringen die E-Books auch in Europa in den Sachbuch- und Belletristikmarkt vor. Mit der «Onleihe» von DiViBib machen nach den wissenschaftlichen nun auch die allgemeinen öffentlichen Bibliotheken erste Schritte mit digitalen Geschäftsmodellen. Artikel über E-Book-Reader und den Vormarsch des E-Books sind in der Presse häufig zu lesen, allerdings melden sich nur selten Leserinnen oder Leser zu Wort. Der folgende Beitrag beschreibt beispielhaft mögliche Erfahrungen bei einem pragmatischen Einstieg in den digitalen Lesemarkt.
Im Arbeitsbereich funktioniere ich inzwischen weitgehend digital: Gedruckte Bücher und Zeitschriften sind Ergänzungen geworden, in die ich mich gerne vertiefe, aber Recherche, Selektion und Sichten von Literatur erfolgen online. Anders in der Freizeit: In meiner Wohnung bewirtschafte ich physisch mehrere Stapel mit angelesenen und ungelesenen Büchern: Einige wandern nach der Lektüre ins Regal, andere werden abgestaubt und umgestapelt, wieder andere trage ich ungelesen in die Bibliothek zurück. Bücher werden verliehen, verschenkt, getauscht oder auch entsorgt, wenn sie mich besonders enttäuschen.
Mit der Anschaffung eines Sony-E-Book-Readers PRS-600 (Touch Edition) für das Institut begann ich Anfang Jahr damit, die Zone zwischen diesen bei- den Kontinenten auszuloten. Den Ausschlag für den Sony-Reader gegenüber dem Amazon Kindle oder zahlreichen weiteren Readern, die auf dem Markt sind, gaben die Verfügbarkeit von deutschsprachiger Literatur, die Kompatibilität mit der DiViBib-Leihe der Digitalen Bibliothek St. Gallen und die Grösse des Anbieters. Die Wahl der Touch Edition war beeinflusst vom kurz zuvor erfolgten Umstieg von meinem alten Handy auf ein iPhone, das für den Umgang mit Texten sofort Standards setzte. Rückblickend hätte es sich gelohnt, Spezifikationen zu vergleichen und einen Blick in die Nutzerforen im Internet zu werfen. E-Book-Reader sind noch nicht in einem Ausmass Gebrauchsgegenstand, dass sie die Gerätewahl zur reinen Intuitionssache machen könnten.
Mit dem Reader habe ich mich gut arrangiert. Dass das Leseerlebnis auf Mobilgeräten mit jenem, welches das Buch bietet, konkurrieren kann, ist für den Belletristikmarkt entscheidend. E-Ink-Displays à la Sony-Reader und Kindle haben papierähnliche Qualitäten, können praktisch bei allen Lichtverhältnissen gelesen werden und haben einen langen Atem: Akkuladungen werden in Seitenumblätterzahlen gemessen, z. B. 7500 Seiten für den Sony PR-600. Eine Ladung reicht mehrere Tage, auch wenn die effektiven Zahlen bei den meisten Readern unter den Herstellerangaben liegen. Dass auch mobile Geräte mit konventioneller LED-Technologie gute Leseeigenschaften aufweisen, beweist das Apple-iPad. Ein Test, den Usability-Guru Jakob Nielsen kürzlich mit 32 Viellesern durchgeführt hat, verglich die Lesegeschwindigkeit für eine Hemingway-Kurzgeschichte auf Papier, PC, iPad und Kindle, dies bei einer Lesedauer von durchschnittlich 17 Minuten. Dabei hatte das Buch die Nase immer noch vorn, die Lesegeschwindigkeiten auf iPad (6,2% langsamer als das Buch) und Kindle (10,7% langsamer) unterschieden sich jedoch nicht signifikant voneinander. Bei der Zufriedenheit schlugen iPad (5,8), Kindle (5,7) und Buch (5,6) deutlich den PC mit nur 3,6 von 7 möglichen Punkten. Vieles ist eine Frage der Gewohnheit und der Lesesituation. Ein E-Book- Reader ist weniger resistent gegen Sand, Hitze und Wasser als ein Buch, und man macht sich mehr Gedanken über Verlust oder Diebstahl. Je nach Modell ist man mehr oder weniger von Strom abhängig. Dafür steht einem unterwegs im physischen Volumen eines Buchs eine ganze Bibliothek zur Verfügung.
Komplexer ist die Frage, wie man das Gerät seiner Wahl mit Büchern füllt. E-Book-Reader vom Typ meines Sony benötigen eine Reader-Library-Software auf einem PC oder Laptop. Die Software dient als Schaltstelle zwischen Handel und Gerät und zur Verwaltung der E-Books. Wichtig: E-Book-Reader sind persönliche Geräte und E-Books kein Besitz, sondern Nutzerkopien. Transaktionen wie tauschen, leihen oder schenken sind von den Kopierschutzsystemen (Digital Rights Management, DRM) nicht vorgesehen. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Onlinehändlers ciando (www.ciando.de) heisst es zum Beispiel: «Der Nutzer erwirbt kein Eigentum. Der Nutzer erwirbt von ciando das nicht ausschliessliche, nicht übertragbare, räumlich und zeitlich uneingeschränkte Nutzungsrecht an dem erworbenen E-Book, um das erworbene E-Book auf ein Endgerät seiner Wahl (Computer, E-Reader) herunterzuladen und auf bis zu fünf unterschiedliche weitere Endgeräte zu übertragen, sofern auf diesen Endgeräten jeweils die Lesesoftware Adobe Digital Editions installiert ist.» Solche Einschränkungen sind fehleranfällig. Sie führten in meiner Learning-by-Doing-Phase dazu, dass ich meinen Sony für ein komplettes Reset ins Werk zurückschicken musste und einige Kopienzähler rasch auf null standen. Einige Anbieter haben bereits kapituliert und erlauben, den DRM-Zähler auf erworbenen E-Books einfach neu aufzuladen (z. B. www.ebooks.com). Machbar ist das, weil der Kauf eines E-Books die Einrichtung eines Accounts beim Händler erfordert. Der Zugriff auf die Back-up-Kopie auf dem Server des Händlers ist jederzeit möglich. Nachteil dieses Systems: Heute verwalte ich bereits zwei verschiedene E-Library-Softwares und besitze neben der Registrierung bei Sony und jener bei Adobe Digital Editions Accounts bei fünf Onlinehändlern, Tendenz steigend, da der E-Book-Markt derzeit noch stark zersplittert ist.
Eine weitere Herausforderung sind die unterschiedlichen E-Book-Formate: EPUB ist ein Standard, der Lesegeräten die Skalierung von Textgrösse und Textfluss ermöglicht, im Prinzip ein offener Standard, den Verleger und Händler aber mit einem DRM versehen können. So arbeiten Sony und Apple beide mit EPUB, Sony verwendet jedoch das DRM von Adobe Digital Editions, Apple ein proprietäres DRM. Amazon setzt beim Kindle das proprietäre Mobipocket-Format ein, zusätzlich mit DRM versehen. Mein Sony liest auch PDF, doch gehen dabei Displayfunktionen verloren, und dafür ist das Gerät eigentlich zu teuer. Brücken zwischen den Formaten lassen sich durch den Einsatz weiterer Reader-Library-Software (Calibre, Stanza etc.) oder durch diverse Workarounds bauen, über die man sich in den Nutzerforen informieren kann, die aber rasch in die Grauzone der Urheberrechtsverletzung führen. Mit technischer Neugier oder ausreichend Erbitterung über die Anbieterpolitik ist vieles möglich, sofern man bereit ist, einige Zeit zu investieren. Dieser Formatkrieg, bei dem es um die Sicherung von Marktanteilen geht, ist ärgerlich und alles andere als nutzerfreundlich.
Als ich meinen Sony-Reader für die Ferien startklar machte, lernte ich, dass es zwar Tausende von E-Books gibt, dass aber Bücher, die ich haben möchte, häufig nicht erhältlich oder aufwendig zu finden sind. Ein «Verzeichnis lieferbarer E-Books» existiert vorderhand nicht, digitale Ausgaben sind im VLB nicht nachgewiesen und müssen auf gut Glück im Netz recherchiert werden. Einige Stationen meines Parcours: «Sez Ner» von Arno Camenisch (2009) war als Buch vergriffen, aber leider nicht als E-Book erschienen; «Der Feind im Schatten» von Henning Mankell (2010) wurde auf der Verlagswebsite (Zsolnay und Deuticke) nicht als E-Book angeboten, war bei den Händlern aber digital erhältlich (z. B. www.books.ch, www.libri.de); «Infinite Jest» von David Foster Wallace (1996) konnte von ausserhalb der USA nicht herunter geladen werden (www.ebooks.com); «Ostfriesische Inseln & Nordseeküste» von Claudia Banck (2010) ist in der Schweiz nur gebunden erhältlich, Libreka (www.libreka.de), die E-Book-Plattform des Deutschen Buchhandels, erlaubt keinen Download aus der Schweiz, was man allerdings selber herausfinden muss. Insgesamt beurteile ich die Auswahl an Belletristik trotz der Titelmenge noch als beliebig, altbacken oder seicht, urheberrechtsfreie ältere Werke sind deutlich übervertreten. Zwar braucht die Klassikersammlung im Reader deutlich weniger Platz als im Regal, ob deswegen aber häufiger nach ihr gegriffen wird, bleibt fraglich. Bei den Neuerscheinungen wäre dringend eine offensivere Politik der Verlage gefragt. Die Formatsituation schränkt die Auswahl weiter ein, immerhin helfen viele Onlinehändler bei der Orientierung, indem sie die Filterung ihres E-Book-Sortiments nach Format (www.books.ch, www.bol.de, www.libri.de) oder gleich nach Endgerät (www.ciando.de) ermöglichen.
E-Book-Reader sind nicht billig. Zur Zeit der Abfassung dieses Beitrags wird der Kindle von Amazon für 250 Franken geliefert, der Sony PR-600 kostet bei Orell Füssli 399 Franken und das Apple-iPad – allerdings viel mehr als ein Reader – ist ab 649 Franken zu haben. Auf seine Kosten kommt hier nur, wer sich auf ein Gerät und das zugehörige Angebot einlässt und die Bindung an Giganten wie Amazon oder Apple nicht scheut. Für englischsprachige Literatur sind die Wireless-Geräte wie Kindle und iPad eine interessante Option, das Angebot in weiteren Sprachen lässt noch zu wünschen übrig (z. B. Kindle-Titel zum Zeitpunkt der Niederschrift: Deutsch = 2471, Französisch = 1866, Italienisch = 0). Wertmindernd wirken neben dem lückenhaften Angebot an Titeln auch die durch die Formatsituation eingeschränkte Nachhaltigkeit von Büchersammlungen und die fragwürdige Mobilität zwischen verschiedenen Gerätetypen und -generationen. Unter diesem Blickwinkel muss auch der meist niedrigere Preis für E-Books anders beurteilt werden als der Preis für konventionelle Bücher, der zu einer grösseren Verfügungsmacht über das erworbene Objekt berechtigt.
Von Barrierefreiheit kann bei E-Books also vorderhand nicht die Rede sein, und welchen Platz mein E-Reader längerfristig einnehmen wird, bleibt ungewiss. So packe ich auf Geschäftsreisen, bei denen ich den Laptop dabeihabe, zur Entspannung nach wie vor eher ein Buch oder Zeitungen mit ein. Ergänzend habe ich begonnen, die kostenlosen E-Book-Angebote auf dem iPhone zu nutzen. Apps wie iBook, textunes oder Classics bieten Stoff genug, und für die Lektüre zwischendurch reicht auch das kleine Display. Unwillkürlich fühle ich mich dann in eine andere Zeit zurückversetzt: die Zeit, in der ich als Kind das Lesen entdeckte und von Strassenschildern über die Cornflakes-Packung bis hin zur Vogelfuttertüte alles las, was mir unter die Augen kam. Mag sein, dass dieses Leseverhalten besser zur Pionierphase des E-Books passt. Der Buchhandel allerdings verdient daran nichts.
Literatur:
iPad and Kindle Reading Speeds. In: Jakob Nielsen’s Alertbox, 2.6.2010. URL: http://www.useit.com/alertbox/... (7.7.2010).
Bertolami, Silvio. E-Books: Lückenhaftes Angebot, zu viele Dateiformate. In: Saldo Nr. 12, 23.6.2010, S. 18–19.
Muntwyler, Rolf. E-Book-Reader: Mit der Darstellung schnell überfordert. In: Saldo Nr. 12, 23.6.2010, S. 20–22.
Abstract
- Français
Gaby Schneider décrit dans cet article les expériences qu’elle a faites avec un appareil de lecture numérique, le Sony PRS-600. L’auteure estime qu’avec un appareil de ce type, les frontières entre le monde du travail fortement tributaire du numérique et les loisirs dominés jusqu’ici par les médias imprimés traditionnels s’estompent de plus en plus. Les liseuses numériques offrent entre-temps une qualité de lecture telle qu’elles peuvent concurrencer sans autre le livre imprimé. Certes, elles sont plus sensibles au sable, à la chaleur et à l’eau, mais elles peuvent contenir une bibliothèque entière et être emportées sans autre pour les vacances.
L’alimentation de ces appareils de lecture pose toutefois quelques difficultés. Les liseuses sont des appareils personnels, et les livres numériques doivent être téléchargés sur son PC ou son laptop au moyen d’un logiciel. La configuration et le téléchargement via un autre computer ne fonctionnent pas. Les livres numériques téléchargés ne sont ensuite pas votre propriété, vous n’avez acquis que le droit d’utilisation. Le téléchargement requiert en outre un enregistrement auprès d’un fournisseur de E-Books, ce qui représente une perte d’anonymat. Les différents formats proposés, pas toujours très conviviaux, représentent également des défis, de même que l’offre elle-même de livres numériques disponibles. Tandis que le choix des œuvres libres de droit est très vaste, la plupart des livres souhaités par l’auteure n’étaient pas disponibles sous forme de E-Books. Conclusion: l’un dans l’autre, l’offre actuelle en appareils de lecture numérique et en E-Books disponibles s’accompagne de trop d’obstacles, et il faudra encore attendre pour voir la place qu’occuperont à l’avenir ces liseuses numériques. A noter que pour la lecture numérique, on peut aussi se contenter de l’iPhone avec ses offres de E-Books gratuits.