Testbericht Handyroman
Ein Handyroman – was ist das eigentlich? Wie muss man sich einen solchen Roman vorstellen? Sind das Romane, die auf dem Handy geschrieben wurden? Oder sind das Romane, welche von Handys handeln? In Japan hat diese Form von Romanen bereits einen riesigen Hype ausgelöst. Aber wer hat in Europa schon einmal einen Handyroman gelesen? Wikipedia (letztes Abfragedatum: 18.6.2010) definiert den Handyroman so: «Ein Handyroman ist eine Form der zeitgenössischen japanischen Literatur mit vornehmlich trivialen und reisserischen Themen. Zentrales Kennzeichen eines Handyromans ist, dass die Geschichte zuerst ausschliesslich für die Lektüre am Handy zur Verfügung steht, bevor es zu einer Veröffentlichung im Printformat kommt.»
Lesegefühl
Das Lesen auf einem derart kleinen Bildschirm ist nicht sehr angenehm. Als noch viel beschwerlicher erwies sich der Umstand, dass sich der Roman nicht durchblättern liess. Der Handyroman weist keine Seitenzahlen auf, er lässt sich lediglich von oben nach unten scrollen – womit er an eine ellenlange SMS erinnert. Weshalb wird das zum Problem? Wenn man genug gelesen hat oder im Bus sitzt und am Zielort ankommt, schliesst man den Handyroman. Beim erneuten Öffnen fehlt nun aber der Hinweis, wo man das letzte Mal mit dem Lesen aufgehört hat resp. wo man die Lektüre wieder aufnehmen soll. Alles bereits Gelesene muss also noch einmal überflogen werden. Glücklicherweise sind Kapitel in den Roman eingefügt, welche wenigstens ein bisschen Struktur geben.
Inhalt
Getestet wurde der Roman «Handy- girl»(www.handygirl.info).Einigermassen schockierend ist die verwendete Sprache, da sie ziemlich derb ist und hin und wieder sehr an die Wortwahl erinnert, welche junge Männer unter sich gerne verwenden.
Handygirl ist ein Avatar, welcher im Handy eines 14-jährigen Mädchens na- mens Liza lebt. Handygirl beschreibt zur Hauptsache das Sein und Wirken des Avatars. Wie fühlt es sich an, im Handy eines 14-jährigen Mädchens zu leben? Handygirls grösster Wunsch ist es, einmal den einengenden Wänden ihres Handys entfliehen zu können. Gerne möchte sie die Welt aus einem anderen Blickwinkel sehen, nicht immer nur durch den Bildschirm ihres Handys. Handygirl denkt eigenständig und macht sich viele Gedanken über Liza. Allerdings kann sie nicht direkt mit ihr kommunizieren. Sie kann Liza nur mitteilen, dass sie zum Beispiel eine neue SMS erhalten hat oder jemand mit ihr chatten möchte etc. Aber richtig mit Liza sprechen kann sie nicht, auch wenn Handygirl sich dies hin und wieder wünschen würde.
Man erfährt von Handygirl, wie Liza lebt und was ein 14-jähriges Mädchen so alles erlebt. Sei dies nun, dass sie mit ihrer besten Freundin Kathi chattet, die für ihr Alter ausserordentlich reif zu sein scheint, oder dass sie sich mit Jungs verabredet. Alles in allem geht es hauptsächlich um die typischen Themen, über die sich Mädchen in diesem Alter unterhalten. Hin und wieder verabredet sich Liza auch mit Jungs zu Blind Dates. Genau eine solche Verabredung bringt sie dann auch in grosse Gefahr. Der Junge, mit welchem sie sich verabredet hat, bringt auch noch seine Freunde zu dem Treffen an der Frankfurter Messe mit. Sie möchten das 14-jährige Mädchen im Rahmen eines Gang Bangs vergewaltigen. Angesichts dieser Gefahr kann Handygirl ihren grössten Wunsch wahr werden lassen und dem Handy entfliehen. Sie materialisiert sich quasi ausserhalb des Handys und erscheint als kleine Rächerin mit Gesichtsmaske – die entsprechende Beschreibung erinnert an Zorro. Natürlich erkennt Liza ihren Avatar nicht. Handygirl ist darüber ganz froh, da sie befürchtet, Liza hätte sich anderenfalls zu Tode erschreckt. Handygirl nimmt sich die Halbstarken zur Brust und kann sie erfolgreich in die Flucht schlagen. Danach verschwindet sie wieder in das Handy. Alle Bemühungen von Liza, Handygirl davon abzuhalten, scheitern, denn Handygirl muss zurück in ihr Handy.
Fazit
Ich musste mich wirklich anstrengen, um das Handybuch fertigzulesen, und zwar nicht nur wegen des kleinen Handybildschirms.
Ich bin nicht sicher, ob sich 14-jährige Mädchen wirklich schon zu Blind Dates verabreden, möchte es aber eigentlich nicht hoffen. Zudem fällt es schwer, mir vorzustellen, dass Vergewaltigung und Gang Bang in diesem Alter wirklich schon ein Thema sind. Mit einer so kruden Thematik sollte man sich als Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren noch nicht auseinandersetzen müssen. Bestimmt ist das Ganze nicht völlig an der Realität vorbeigeschrieben, wie uns das Hören und Sehen der Abendnachrichten allzu oft lehrt. Aber muss das wirklich in einem Jugendroman behandelt werden? Die Aufarbeitung des Themas schiesst, so finde ich, am Ziel vorbei, auch wenn die eigentliche Zielgruppe richtig gewählt ist. Die technische Umsetzung ist leider auch nicht wirklich besser als das gewählte Romanthema. Hier bieten Handys doch bestimmt noch mehr Möglichkeiten. Denn auch einen kurzen Roman möchte man nicht unbedingt in einem Zug durchlesen. Die Handybücher geben mir aber keinerlei Möglichkeit, ein Lesezeichen oder einen Merkpunkt zu setzen. Da der Roman in Form einer überlangen SMS auf dem Handy gespeichert wird, fehlen mir auch jegliche Anhaltspunkte wie etwa die Seitenzahlen.
Ich denke, gerade auch die Zielgruppe der Jugendlichen erwartet mehr von einer Applikation fürs Handy, und es gilt:
Wenn die Anwendung nicht gut ist, wird sie auch nicht genutzt. Schwer vorstellbar, dass sich der Handyroman in dieser Form wirklich durchsetzen kann.
Nichtsdestotrotz möchte ich doch noch anfügen, dass ich es gut finde, wenn man Jugendliche wieder mehr zum Lesen zu animieren versucht. Die Idee ist als solche nicht schlecht, und es ist durchaus vorstellbar, dass das Angebot – bei besserer technischer Umsetzung und einem besseren Titelangebot – bei den Jugendlichen gut ankommt.
Abstract
- Français
Qu’est-ce qu’un roman sur portable? Une forme de littérature japonaise contemporaine qui aborde de préférence des thèmes triviaux et racoleurs. La principale caractéristique d’un roman sur portable est que l’histoire est a priori exclusivement disponible pour la lecture sur téléphone portable, avant de pouvoir être proposée au public sous forme imprimée. La lecture d’une roman sur portable sur un si petit écran n’est pas très agréable. Plus ennuyeux et dérangeant encore: le fait que l’on ne peut pas feuilleter le roman. Ce dernier n’a en effet pas de page, il se lit simplement de haut en bas, ce qui fait un peu penser à un très long SMS. Le roman testé s’intitule «Handy-Girl» (www.handygirl.info). L’auteure trouve choquante la langue utilisée. La lecture en est également fastidieuse. L’auteure n’en salue pas moins le fait que ce nouveau médium est intéressant pour les jeunes et les incite à lire.