Informationssysteme und AV-Medien
In Archiven und Bibliotheken ist die Zeit der Eigenentwicklung von IT-Systemen vorbei; überall werden heute Standardsysteme eingesetzt. Diese sind geprägt davon, dass in Archiven und Bibliotheken Schriftdokumente immer noch im Zentrum stehen, unabhängig davon, ob diese in analoger oder digitaler Form vorhanden sind. Natürlich werden in diesen Systemen auch AV-Medien erschlossen, seit solche in den Beständen auftauchen. So stellt sich die Frage, ob und wie weit diese Systeme die spezifischen Eigenheiten von AV-Medien berücksichtigen und ob sie spezielle Anwendungen ersetzen können.
Einleitung
Der ursprüngliche Titel im Programm lautete: «Archivinformationssysteme und ihre Tauglichkeit für AVMedien». Hier wird das Thema etwas ausgeweitet: «Wie werden AVMedien in verschiedenen Informationssystemen in Archiven, Bibliotheken und spezialisierten Dokumentationsstellen erschlossen?» Es geht nicht um die Frage, welches StandardInformationssystem das «beste» wäre, um AVMedien zu erschliessen. Viel aufschlussreicher scheint die Frage, warum AVMedien in unter schiedlichen Systemen ganz verschieden erschlossen werden, ohne dass damit bereits eine Bewertung der Systeme verbunden ist.
Im Folgenden wird anhand von einigen Screenshots gezeigt, wie Videos und Musik als zwei Typen von AVMedien in verschiedenen Systemen sichtbar sind. Für das Archiv sind das Beispiele, die mit dem Archivsystem Scope erfasst sind, für die Bibliothek sind es Beispiele aus IDSKatalogen mit dem Bibliothekssystem Aleph. Scope und Aleph sind Standard Systeme, die in der Schweiz sehr verbreitet sind. Als Kontrast dazu Beispiele aus den Archivsystemen von Radio und Fernsehen SRF; beides sind keine Standardlösungen, sondern Tools, die speziell für die Anwendung in den AV-Dokumentationen entwickelt wurden. Diese Auswahl bedeutet keinerlei Wertung dieser Systeme; mit anderen Systemen und Anwendungen liesse sich genau dasselbe zeigen.
Die Vielfalt der AV-Erschliessung
Video
Beispiel 1 zeigt die Erfassung eines Tagesschau Beitrags im Archiv für Zeitgeschichte. Das Dokument ist nur mit den notwendigsten Metadaten beschrieben, d.h. Titel, Sendedatum, Dauer, Trägerformat, Farbe und Ton. Die hierarchische Einordnung zeigt, dass es Teil des Archivbestandes der Israelitischen Cultusgememeinde Zürich ist.
Der Screenshot zeigt, dass in dieser Anwendung noch weitere Angaben ins besondere zu den Urhebern und zur Produktion erfasst werden können. Zu dem stehen in Scope viele Datenfelder für weitere Metadaten zur Verfügung, u.a. können auch Film und Tonaufzeichnungen in die Verzeichnung eingebettet werden, um diese direkt im Archivkatalog anzuzeigen.
Beispiel 2 zeigt die Erfassung eines Tagesschau Beitrags im Katalog des St. Galler Bibliotheksnetzes, sowohl als Kurzanzeige wie auch mit den einzelnen MARCFeldern des Kataloges. Der Informationsgehalt ist nicht wesentlich grösser als beim Beispiel aus dem Archiv.
Die Detaildarstellung des Datensatzes zeigt, welche MARCFelder für die Beschreibung benutzt werden. Wie im Archiv könnten auch hier sehr viele zu sätzliche Metadaten erfasst werden; das MARCFormat kennt ja mehrere hundert Felder und Subfelder, welche für spezifische Informationen zur Verfügung stehen.
Beispiel 3 zeigt einen Tagesschau Beitrag, wie er in der Film/VideoDaten bank FARO bei SRF erfasst ist. Im Unterschied zu den anderen Beispielen ist hier sichtbar, wie dieser Beitrag in die ganze Sendung eingebettet ist. Vor allem sind die einzelnen Filmsequenzen des Beitrags beschrieben und mit einem Standbild versehen.
Musik
Beispiel 4 aus dem Schweizerischen Literaturarchiv zeigt die Erfassung eines Werks von Othmar Schoeck in der Sammlung «Bilder und Stimmen der Schweizer Kultur». Die Metadaten beschränken sich im Wesentlichen auf Komponist, Titel und Interpreten.
Auch hier gilt wie beim Film, dass das System weitere Datenfelder für Metadaten zur Verfügung stellt. Im Beispiel ist auch zu sehen, dass Links zur Audiodatei erfasst sind; diese funktionieren allerdings aus urheberrechtlichen Gründen nur innerhalb des SLA bzw. der Nationalbibliothek.
Beispiel 5 zeigt, wie die Bibliothek der PH Zürich eine MusikCD mit der 9. Sinfonie von Anton Dvorak im NEBISKatalog erfasst hat. Die Metadaten sind nur wenig ausführlicher als das ArchivBeispiel, aber sie reichen aus, um in der Recherche diese CD zu identifizieren und zu entscheiden, ob ein Nutzer diese ausleihen will oder nicht.
Das folgende Beispiel 6 zeigt die Erfassung einer CD mit der gleichen Sinfonie in der Musikdatenbank von Radio SRF. Diese ist sehr viel ausführlicher und differenzierter. Aus Platzgründen können nicht alle Bildschirmmasken, die für die vollständige Erschliessung benötigt werden, gezeigt werden.
Die Erschliessung beginnt mit den Metadaten zum Werk, d.h. Komponist, Werktitel, Opus und Werkverzeichnis Nummer, Entstehungszeit, musikalische Einordnung in Bereich und Teilbereich, geografische Herkunft, etc. Dann folgen die Metadaten zu den einzelnen Teilen des Werkes, den Sätzen mit Stücktitel, der Lokalisierung auf der CD und der Abspieldauer. Screen shot 6 zeigt, wie für jeden Teil die Interpreten mit ihren Funktionen erfasst werden. Dazu kommen Ort und Zeit der Aufnahme.
Zusätzlich werden die Informationen zur CD als Tonträger erfasst: Tonträgertitel, Strichcode-Nummer, Produktionsjahr, Label, Bestellnummer, Tonträgerart, Aufzeichnungstechnik und Bei lagen. Zudem folgen noch Metadaten zur Digitalisierung wie das Format der Audiodatei und technischen Hinweise. Zum Schluss werden zu jedem Stück, das für die Sendung in Frage kommt, weitere Informationen für die Rotation erfasst, damit eine Software automatisch aus den erfassten Musikstücken eine Sendung zusammenstellen kann. Dazu gehören: dominante Instrumente von Gesamtwerk und Interpretation, Tempo und Dynamik von Anfang, Gesamt und Ende, Komplexität und Intensität der Musik, Epoche, Klangkategorie, Instrumentation, Opener, Closer, etc.
Erschliessungsqualität
Wenn man diese Beispiele vergleicht, ist die Frage, welche Art der Erschliessung nun die beste sei, durchaus nahe liegend. Allerdings: Woran misst sich die Qualität einer Erschliessung? Ist die Erschliessung, wie sie in den Systemen von SRF gemacht wird, besser, weil sie differenzierter ist und mehr Metadaten erfasst? Dies wäre ein Trugschluss, denn mehr bedeutet nicht unbedingt auch besser. Das wäre die Optik von Sportreportern oder Betriebswirtschaftlern, wo möglichst viel und möglichst schnell die Kriterien sind.
Wenn man die Qualität einer Erschliessung beurteilen will, muss man zuerst die Frage stellen, wozu denn diese Erschliessung gemacht wird. Die Frage ist daher: Was ist Aufgabe und Ziel der Institutionen, die Medien erschliessen, wer soll diese Medien nutzen und zu welchem Zweck?
Das klassische Archiv, egal ob in der öffentlichen Verwaltung oder in der Privatwirtschaft, hat die primäre Aufgabe, das Handeln der eigenen Organisation für die Nachwelt nachvollziehbar zu dokumentieren. Diese Art der Archivierung ist prozessorientiert, d.h. es werden Geschäftsvorgänge dokumentiert. Darum hat das Archiv nicht das einzelne Dokument im Focus, sondern das Dossier, in dem sich ein Geschäftsvorgang abbildet. Damit bezieht sich auch die Erschliessung primär auf das Dossier. Einzeldokumente innerhalb eines Dossiers werden nur dann sichtbar gemacht, wenn sie eine besondere Bedeutung haben und auch dann nur mit den wichtigsten formalen Angaben. Die inhaltliche Zuordnung erfolgt über die Einordnung des Dossiers im prozessorientierten Aktenplan; diese Kontextinformation ist ein zentraler Bestandteil der Erschliessung im Archiv.
Im Gegensatz dazu richtet die Bibliothek ihren Focus auf das Einzeldokument. Das Kerngeschäft jeder Bibliothek ist ja die Ausleihe von Medien; eine Bibliothek, deren Bestände nicht mehr ausgeliehen (oder vor Ort genutzt) werden, wäre keine Bibliothek mehr, sondern eher ein Archiv oder Museum. Aus diesem Grund ist die Erschliessung in der Bibliothek darauf ausgerichtet, dass die Nutzenden in der Recherche ein gesuchtes Medium finden und anhand der Metadaten auch beurteilen können, ob sie es ausleihen, d.h. nutzen wollen. Da in Bibliotheksbeständen oft nach einem Thema gesucht wird, spielt die Inhaltserschliessung über Schlagwörter oder andere kontrollierte Vokabulare eine wichtige Rolle.
Im Archiv und in der Bibliothek wäre eine hoch differenzierte Erschliessung, wie wir sie in den Beispielen von Radio und Fernsehen gesehen haben, nicht nur sinnlos, sondern sogar kontraproduktiv. Wenn die Erschliessung Metadaten bereitstellt, welche die Nutzen den gar nicht brauchen, führt dies zu einem Informations-Overkill, der die Recherche nur behindert.
Im Gegensatz zu Archiv und Bibliothek haben die Dokumentationen von Radio und Fernsehen eine ganz andere Aufgabe: Sie sind Produktionsarchive, deren Bestände für die Produktion von Sendungen benötigt werden. Diesem Zweck dient die Art der Erschliessung, welche hier gemacht wird. Am Beispiel der Musikdatenbank beim Radio lässt sich dies zeigen: Im Musikprogramm eines Radiosenders werden ja nicht ganze CDs oder Alben abgespielt, wie das manche von uns möglicherweise zuhause tun. Für das Musikprogramm werden einzelne Musikstücke zusammengestellt, bei grösseren Werken der E-Musik oft auch nur Teile von einzelnen Werken. Darum ist die differenzierte Erschliessung auf der Ebene des Einzelstückes entscheidend. Da Musik programme heute automatisch von einer Software erstellt werden, müssen, wie im letzten Screenshot gezeigt, auch die entsprechenden Informationen wie Tempo, Dynamik, dominantes Instrument, Opener, etc. erfasst sein. So kann die Software steuern, wie das Programm klingt und bei den Zuhörenden ankommt.
Die Antwort auf die Frage, welche Art der Erschliessung die richtige oder bessere sei, ist somit klar: So unterschiedlich die drei gezeigten Systeme auch sind – innerhalb ihres Kontextes und bezogen auf ihre Aufgabe, sind alle drei Erschliessungen sinnvoll und richtig. Natürlich kann man sich auch ganz an dere Aufgaben und Fragestellungen ausdenken. Wenn es z.B. um die Erforschung der Mediengeschichte geht, z.B. um die Frage, wie sich ein Fernsehprogramm im Lauf der Jahre entwickelt und verändert hat, dann wären alle drei Systeme und ihre Art der Erschliessung ungeeignet. Denn in diesem Fall interessieren nicht einzelne Sendungen, Beiträge oder gar einzelne Sequenzen, sondern das Programm als Ganzes. Da mit müssten ganz andere Methoden der Erschliessung angewendet werden.
Um auf die eingangs gestellte Frage, ob Archivinformationssysteme für die Erschliessung von AV-Medien tauglich seien, zurückzukommen: Da ist die Antwort dieselbe wie jedes Mal, wenn eine Informationsvermittlungsstelle uns als Berater anfragt, welches Informationssystem sie denn kaufen sollten. Da stellen wir als erstes die Gegenfrage, welche Medien zu welchem Zweck und für welche Nutzerkreise erschlossen werden sollen, was die Interessen der Nutzen den sind, welche Fragen sie stellen und welche Antworten sie erwarten. Erst wenn dies analysiert und geklärt ist, lässt sich überlegen, welches konkrete System sinnvoll und angepasst wäre. Für manche ist es erst einmal etwas frustrierend, wenn wir eine konkrete Frage gleich mit einer Gegenfrage beantworten, aber das hat damit zu tun, dass wir Berater sind und keine Verkäufer, die immer schon wissen, welches Produkt der potentielle Kunde kaufen soll.
Vortrag, gehalten am 21. Mai 2014 an der Fachtagung «Ohne Erschliessung keine Vermittlung» von BIS und Memoriav in Bern.
Abstract
- Français
L’auteur montre, au moyen d’exemples pratiques, comment la musique et la vidéo sont cataloguées dans différents systèmes d’information. Scope et Aleph sont des solutions standards largement répandues dans les archives et les bibliothèques, et adaptés à leurs besoins spécifiques. Les systèmes d’information de la Radio et Télévision suisse sont des solutions qui ont été développées pour les besoins spécifiques de sa documentation.
La comparaison de ces systèmes montre qu’une évaluation n’est pas possible sans prendre en compte au départ les tâches spécifiques de l’institution qui récolte et catalogue des documents audiovisuels. Ce n’est que de cette manière qu’un système pourra être évalué avec tout le sérieux requis: un système est donc «bon» s’il est adapté à la tâche spécifique et que les médias audiovisuels sont catalogués de telle sorte que les utilisateurs puissent couvrir leur besoin spécifique en information. (traduction: sg)