Kommentare Abstract
2015/4 Kompetenzen

A-t-on encore besoin d’archivistes? Unser Berufsbild im Wandel Bericht von der VSA-Fachtagung am 11. September 2015

Kommentare Abstract

Ob es überhaupt noch Archivare braucht, war die zentrale Frage, die an der diesjährigen Fachtagung des VSA, die im Anschluss an die Jahresversammlung des Verbands in Porrentruy stattfand, behandelt wurde.

Dass es viele Archivarinnen und Archivare gibt in der Schweiz, wurde an den Teilnehmerzahlen deutlich, mehr als 160 von ihnen reisten für Fachtagung und Jahresversammlung in den Kanton Jura, ein neuer Rekord.

Neue Wege beschritt der VSA bei der Gestaltung: Fachtagung und Jahresversammlung – bisher getrennte Veranstaltungen – wurden zusammengelegt und fanden am Donnerstag und am Freitag statt, ein Modell, dass gemäss Info an der Jahresversammlung für nächstes Jahr beibehalten werden soll. Im Nachgang der Veranstaltung will der Vorstand evaluieren, ob diese Form der Veranstaltung bei den Mitgliedern ankommt, die Teilnehmenden werden dazu befragt.

Ein neues Format für die Fachtagung

Die Fachtagung wurde 2015 von der Arbeitsgruppe Records Management und digitale Archivierung unter der Leitung von Krystyna W. Ohnesorge organisiert. Neben dem neuen Zeitpunkt war die Fachtagung auch in ihrem Ablauf neu gestaltet. Hinter den Änderungen am Format stand die Absicht, Diskussionen anzuregen und vielfältige Stimmen aus der Archivwelt zu Wort kommen zu lassen. So gab es nur mehr zwei grössere Referate zu Beginn und zum Abschluss der Tagung. Eröffnet wurde die Tagung mit dem Referat von Andreas Kellerhals, Direktor des Schweizerischen Bundesarchivs, der seine Reflexionen über das Spannungsfeld zwischen «Bürger-Archivar» und «InformationswissenschafterInnen» nachdachte – nachzulesen in seinem Artikel im ersten Teil dieser Ausgabe von arbido. Zum Abschluss der Tagung nahmen Anouk Dunant Gonzenbach, Archivarin im Staatsarchiv Genf und Pierre Flückiger, Direktor des Staatsarchivs Genf die Teilnehmenden auf eine Reise mit Alice im Wunderland. Wohin die Reise für Archivare und Archivarinnen aus ihrer Sicht geht, kann ebenfalls im Artikel der beiden im vorliegenden Heft entdeckt werden.

Neu an der Fachtagung waren drei moderierte Sessionen, bei denen jeweils vier verschiedene Personen aus den Arbeitsgruppen des VSA vertreten waren. Eingeleitet wurden die Panels jeweils durch einen Lightning Talk eines «Fachfremden», der zehn Minuten Zeit hatte, Erwartungen an und viel- leicht auch Ideen für die archivische Community zu formulieren. Die Teilnehmenden der Sessionen hatten danach die Gelegenheit, eine These als sogenannten «Mini Talk» zum jeweiligen Thema der Session innerhalb von drei (!) Minuten zu präsentieren; keine einfache Aufgabe, die aber von allen gemeistert wurde. Viel Zeit stand anschliessend für die Diskussion zwischen den Sessionteilnehmenden zur Verfügung, bei der auch die Tagungsbesucher eingeladen waren, mitzutun.

Session 1: Nos archives sur le tapis rouge

Quelles compétences devons-nous mo- biliser pour mettre en valeur les archives, capter l’attention des différents publics et dialoguer avec eux?

Dans son Lightning Talk, Enrico Natale (responsable du portail professionnel pour l’histoire infoclio.ch) a souligné le succès des archives en ligne, bien que la plupart des documents ne sont pas contextualisés, le transnationalisme des utilisateurs et le besoin en médiation de l’espace (par du géoréférencement) et du temps (par des timelines par exemple).

Les interventions de Sara Marty (arbido), Stefan Kwasnitza (GT Accès et communication), Olivier Girardbille (GT Archives communales) et Lionel Loew (GT Archives d’entreprises) ont ensuite relevé quelques facettes de la valorisation des fonds par les archivistes.

Sara Marty a insisté sur le fait que les services d’archives doivent oser se vendre pour atteindre différents groupes de clients, donc utiliser différents canaux de communication. Pour cela, les archivistes doivent surmonter un certain snobisme, en un mot: vulgariser.

Pour Stefan Kwasnitza, les archivistes doivent garantir l’accès à l’information vue comme une ressource et repenser nos fonctions dans le cadre de la production de cette information, et non pas seulement dans le champ de la culture.

D’un autre côté, Olivier Girardbille a fait le lien entre services d’archives et musées dans le cadre de la mise sur pied d’une exposition commémorative, alors que Lionel Loew nous a fait part de son retour d’expérience dans l’exploitation des collections de son institution par la publication d’un ouvrage commémoratif.

Est-ce à l’archiviste d’exploiter lui-même ses fonds, quitte à se substituer aux historiens, ou doit-il rendre accessible ces fonds à des médiateurs qui peuvent toucher des publics variés?

Telle est la question fort intéressante qui a sous-tendu le débat. En revanche, nous avons peu parlé des compétences à mettre en œuvre pour dialoguer avec nos publics: comment passer d’un archiviste détenteur du savoir historique de l’organisme à un archiviste animateur de réseaux? Une opportunité évoquée par Enrico Natale va dans cette direction: le besoin de spécialistes en information documentaire dans des projets en humanités numériques afin d’assister les chercheurs pour monter leur projet.

Session 2: In den Daten liegt die Wahrheit – Daten zum Sprechen bringen

Der Lightning Talk in der zweiten Session wurde von André Golliez, Präsident des Vereins OpenData.ch gehalten. Er konstatierte, dass Daten zwar schon lange existieren, wir aber inzwischen in einer regelrechten Datenwelt leben. Daten sind eine Infrastrukturressource und in der Schweiz befinden wir uns auf dem Weg zu einer nationalen Dateninfrastruktur, an der alle teilhaben können. Golliez appellierte an die Archive, ihre Rolle in diesem Datenkreislauf aktiv zu übernehmen, sich nicht als Datensilo zu begreifen, sondern sich gerade auch im Bereich der Open Data Bewegung zu engagieren.

Wie sich Archivare in diesem Datenkreislauf positionieren und für den Umgang mit Daten fit werden, darüber gingen dann sowohl bei den Minis wie auch in der Diskussion die Meinungen zum Teil weit auseinander.

Tobias Wildi (AG Archive der privaten Wirtschaft) knüpfte an den Input von André Golliez an und konstatierte eine durchgängig digitale Welt mit neuen Verwaltungspraktiken und neuartigen Rückkopplungen zwischen Datenproduzenten und Archiv. Darauf hätten sich nicht nur die Archive sondern auch die Ausbildungsgänge auszurichten, diese seien aber noch nicht genügend digital. Katrin Utz Radermacher (AG Bewertung) wies darauf hin, dass Archivare Generalisten über den gesamten Life Cycle werden müssen, um die Qualität von digitalen Daten und damit deren Nutzbarkeit zu gewährleisten. Dafür brauche es einerseits die Zusammenarbeit mit Spezialisten und andererseits den Erwerb von neuen Kompetenzen. Eine andere Sichtweise vertraten hingegen Jakob Kuratli (AG Geist- liche Archive) und Gregor Egloff (Staatsarchiv Luzern). Jakob Kuratli wies auf die bleibende Bedeutung von Bewertung und Erschliessung und quellenkritischen Kenntnissen hin, Gregor Egloff zeigte sich überzeugt davon, dass in den Archiven keine Kompetenzen oder Spezialisten fehlen, um die Bearbeitung von digitalen und analogen Unterlagen zu gewährleisten.

Die Diskussion unter der Leitung von Niklaus Stettler (AG Recordsmanagement und digitale Archivierung) drehte sich dann einerseits um das Verständnis und die Gewährleistung von Datenqualität, andererseits aber auch um die Kompetenzen der Archivare, um Vertrauen in ihre Tätigkeit gerade mit digitalen Daten sicherzustellen. Dabei wurde ins Feld geführt, dass eine reine Medienbetrachtung offenbar zu kurz schiesst und es insbesondere um die kritische Betrachtung von bisherigen und allenfalls neuen archivischer Praxis geht. Kurz gesagt: Die Archivarinnen von heute befinden sich im Spannungsfeld zwischen Bits und Staub – und verorten sich darin sehr unterschiedlich.

Session 3: Connais-toi toi-même et tu connaîtras l’administration et ses démons (Socrate reloaded)

Die dritte und letzte Session war einem als eher spröd verschrienen Thema gewidmet: der Verwaltungsgeschichte.

Zum Auftakt lieferte Daniel Palmieri, Chargé de recherche historique beim Internationalen Roten Kreuz (IKRK) gleich ein Beispiel, welch unterschiedliche Gewichtungen der Verwaltungsgeschichte zugemessen werden. Für jene des Roten Kreuzes hat sich bislang nämlich kein einziger Forscher interessiert. Was David P. Forsythe, landläufig betitelt als «IKRK-Kenner», nicht daran gehindert hat, in einem seiner Bücher ein Kapitel der Verwaltungsgeschichte zu widmen – ohne die Archive zu konsultieren. Dieses komplette Ignorieren ist für Palmieri unverständlich: «L’histoire administrative est indispensable pour comprendre l’histoire opérationnelle de l’organisation.»

Aus diesem Grund bedauert er die letzte Reorganisation des IKRK sehr. Diese habe das Archiv ins Abseits gestellt und so die Verbindung der Archivare zur Organisation gekappt. Zudem werde seither dem Information Management eine sehr grosse Bedeutung eingeräumt, ohne aber dass man genau wisse, was das denn eigentlich bedeute und vor allem, welche Folgen das später haben werde. Das habe ein Chaos verursacht und die Struktur des Teils «Archiv» sozusagen aufgelöst.

Eine solche Zusammenlegung von Archiv und Information Management hat auch Jargo de Luca (AG Records Management und digitale Archivierung) schon erlebt: «Für das Management sieht das so simpel aus: Die einen haben Wissen, und die anderen sammeln Wissen. Also scheint es nur sinnvoll, beides zusammenzulegen, im Sinne von Synergienutzung.» Sein Fazit, so sec wie ernüchternd: «Es war fatal.» Besonders verheerend sei, dass das Bewusstsein für Metadaten abhanden komme. Hier sieht auch Frédéric Noyer (GT Accès et communication) Handlungsbedarf für die Archivare, denn «l’absence de métadonnés nous mène à des problèmes, voire à des catastrophes.» Als Wurzel des Problems sieht er die Arhythmie zwischen der langen Lebensdauer der Informationen, die im Gegensatz steht zur kurz gewordenen Lebensdauer der Trägermedien. Dieser Arhythmie seien sich die aktenproduzierenden Stellen selten bewusst, ja, sie müssen es auch nicht sein. Hier jedoch habe der Archivar anzusetzen, indem er den Aktenproduzenten die Bedeutung von Metadaten begreiflich mache.

Einig war sich das Panel, dass die Digitalisierung die Struktur der Verwaltung destabilisiert habe und eine neue, stabile Ordnung noch nicht gefunden worden sei. Der Schlüssel zur Problemlösung liege in der Partnerschaft zwischen Archiv und Verwaltung. Ob dafür Kenntnisse der Verwaltungsgeschichte von Nöten seien, darüber hingegen waren sich die Diskutanten nicht einig.

Für Eloi Contesse, bei den Archives cantonales vaudoises für die Zusammenarbeit mit den Gemeinden zuständig, ist sie ungemein hilfreich: «Si on va dans l’administration pour donner conseil, ça aide beaucoup, voire c’est indispensable à connaître la situation de notre interlocuteur.» Er sieht die Verwaltungsgeschichte als integraler Teil des Aktenproduktionskontexts. Frédéric Noyer hingegen will das Konzept nicht überbewerten, denn manchmal reiche auch ein Metadatum. Dieses aber sei umso wichtiger: «La dispersion de l’information est plus problématique que des changements de l’administration. Plus que les missions ou la place d’un service producteur, ce sont ses processus et outils qui évoluent et ce sont ces infos-là qui sont cruciales pour assurer l’archivage des données produites.»

Auch Jargo de Luca vertritt die Meinung, dass die Verwaltungsgeschichte ausgedient habe: «Meine Aufgabe als Records Manager ist es, in einem System Aufgaben abzubilden. Ich stelle immer wieder fest, dass um Personen herum reorganisiert wird, aber die Aufgaben und Funktionen bleiben dieselben. Wozu braucht es da noch eine schriftliche Administrationsgeschichte?» Falls die Funktionen tatsächlich dauerhafter sind als die Posten und Abteilungen, stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, die Funktions- statt die Administrationsgeschichte festzuhalten. Eine Lanze für die Verwaltungsgeschichte brach Marcel Meyer: «Derzeit geht eine Flut von Anfragen zu Verwahrungen bei den Gemeindearchiven ein. Um diese korrekt beantworten zu können, muss man die Verwaltungsgeschichte kennen.»

Doch wer weiss, vielleicht wird es in Zukunft ganz andere Möglichkeiten geben die Verwaltungsgeschichte nachzuvollziehen, wie Moderator Jean-Daniel Zeller in seiner Schlussnote orakelte: «Peut-on imaginer, dans le monde numérique futur, que les données soient suffisamment auto-documentées pour que nous n’ayons plus besoin que d’un algorithme pour créer l’histoire administrative?»

Fazit

Die Diskussionen aus den Panels wurden beim Mittagessen und später auf der Heimfahrt rege weitergeführt. Damit ist ein wichtiges Anliegen der veranstaltenden Arbeitsgruppe sicherlich erreicht. Archivarinnen und Archivare sind bereit, Herausforderungen anzunehmen, auch Gegensätze und verschiedene Meinungen zu diskutieren, darüber nachzudenken und neue Ideen zu entwickeln. Klar wurde aber auch, was für ein breites Feld an Alltagsrealitäten sich in den Archiven der Panel-Teilnehmenden auftut. Der Dialog mit «Nicht-Archivarinnen» sollte weiter gesucht werden – hier gab es ein deutliches Potential für spannende und auch anregende Inputs.

Die Beiträge der Fachtagung sollen auf der Webseite des VSA publiziert werden. Gespannt sein können wir auf nächstes Jahr, wenn die Arbeitsgruppe Zugang und Vermittlung die Fachtagung in Appenzell organisieren wird.

Bos Marguérite 2017

Marguérite Bos

Marguérite Bos arbeitet seit 2006 im Schweizerischen Bundesarchiv. Von Mitte 2014 bis Mitte 2021 war sie Redaktionsmitglied bei arbido.

Cm7 A2898 Carre

Gilliane Kern

Master of Science en Information documentaire en 2011 à la Haute école de gestion de Genève, conjointement avec l’École de bibliothéconomie et des sciences de l'information (EBSI) de l'Université de Montréal.

Archiviste et conseillère en gestion documentaire depuis 2012 pour la société docuteam, elle est membre de la direction et responsable en Suisse romande des projets de gestion de l’information, du Service intercommunal d’archivage dans le canton de Neuchâtel (SIAr) et représentante des activités en archivage électronique.

Elle fait partie du comité de rédaction d'arbido depuis 2014 et du comité de l’Association des archivistes suisses (AAS) depuis 2015.

Sous le pseudo Gilliane, elle est aussi wikimédienne et cherche à optimiser le travail des archivistes (et autres professionnel·le·s GLAM) par les outils Wikipédia, Wikidata, Wikimedia Commons et Wiktionary.

Marty Sara 2014

Sara Marty

Sara Marty ist wissenschaftliche Archivarin und Projektleiterin bei archivsuisse in Kehrsatz/Bern. Von 2011 bis Ende 2020 arbeitete sie im Dokumentationszentrum doku-zug.ch, das sie ab 2017 als Geschäftsführerin leitete und 2020 in die Stadt- und Kantonsbibliothek Zug überführte. Von 2015 bis 2022 war sie Chefredaktorin von arbido.

Elle a étudie à Lausanne et obtenu sa Licence ès Lettres en 2004. Quoi qu'elle soit rentrée en Suisse alémanique peu après, elle profite toujours de chaque occasion qui se présente pour aller en Romandie. Après avoir travaillé quelques années en marketing et puis comme journaliste, elle a trouvé sa vocation dans le champ professionnel de l'information documentaire. Von 2012 bis 2014 hat sie das Weiterbildungsprogramm in Archiv-, Bibliotheks- und Informationswissenschaften der Universitäten Bern und Lausanne absolviert und den Titel Master of Advanced Studies in Archival, Library and Information Science (MAS ALIS) erhalten. Ihre MAS-Masterarbeit trägt den Titel «Schweizer Dokumentationslandschaft im Wandel: die Suche nach einem Berufsverständnis».