Am Ende des privaten Weges: Doku-Zug in die Bibliothek Zug integriert
Finanzieller Druck zwang das private Dokumentationszentrum Doku-Zug, neue Wege zu gehen. Die Lösung war die Integration in die Bibliothek Zug. Der Übergang von der privaten zur öffentlichen Finanzierung wäre ohne Fokussierung und Redimensionierung nicht möglich gewesen, dafür bedeutete er eine langfristig gesicherte Zukunft für die dokumentarische Sammlung und Dienstleistungen.
Am 31. Dezember 2020 schlug die letzte Stunde des Dokumentationszentrums Doku-Zug1. Die von einer Privatperson gegründete und während rund 30 Jahren privat finanzierte Institution in der Zuger Altstadt schloss seine Türen endgültig. Seit 1. Januar 2021 gibt es Doku-Zug nicht mehr, dafür die Zuger Sammlung und Dokumentation in der Bibliothek Zug. Die private Institution ist aufgegangen in der Stadt- und Kantonsbibliothek Zug und damit Teil der städtischen Verwaltung geworden, eng angebunden ans Stadtarchiv Zug.
Themendossiers für die Öffentlichkeit
Doku-Zug war und ist nach wie vor eine klassische Dokumentation: Dokumente unterschiedlicher Natur und aus vielfältigen Quellen werden in Themendossiers gebündelt und stehen Nutzenden so für Recherchen zur Verfügung. Dokumentalistinnen und Dokumentalisten wählen Dokumente aus (z. B. Zeitungsartikel aus Tageszeitungen, Fachartikel aus Zeitschriften, Flugblätter, Verlautbarungen von NGO, Studien von Gewerkschaften, Motionen und Interpellationen aus Gemeinderäten, von Ämtern erhobene Statistiken) und ordnen diese Themendossiers zu. Solche Dossiers tragen Titel wie «Stadtratswahlen Zug», «Rohstoffhandel Kt. Zug» oder «Angehörigen aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Schweiz».
Rund 4600 solcher Themendossiers wurden bei Doku-Zug gepflegt und bildeten den gesellschaftlichen Diskurs ab. Anders als der Name der Institution suggeriert, beschränkte sich die Sammlung thematisch nicht auf Zug: Schweizweite Themen wurden genauso abgedeckt wie internationale.
Der Vorteil einer solchen Sammlung nach Pertinenzprinzip ist die bequeme, weil intuitive Nutzbarkeit. Die suchende Person benötigt kein Vorwissen über die Organisationsform der Informationsproduzenten oder Verwaltungsgeschichte, um rasch das Gewünschte zu finden. Die intellektuelle Auswahl durch die Dokumentalistinnen und Dokumentalisten garantiert qualitativ hochstehenden Dossiers für die zeitgeschichtliche Forschung. Ein solch aktives Sammeln hat aber seinen Preis, denn es ist arbeits- und damit personalintensiv.
Der Gründer und Mäzen
Lange Zeit hatten die Kosten kein Hindernis dargestellt. Das Dokumentationszentrum war von einer Privatperson gegründet und während 25 Jahren ausschliesslich vom Gründer finanziert worden.
Daniel Brunner, ein Enkel von Karl-Heinz Gyr, dem Gründer der Firma Landis & Gyr, und Sohn von Andreas C. Brunner, Konzernleitungsmitglied und Verwaltungsratspräsident von Landis & Gyr sowie Nationalrat, kam nach dem Verkauf des Familienunternehmens im Jahr 1987 zu einem beträchtlichen Vermögen. Als Mitglied des Grossen Gemeinderats der Stadt Zug sammelte er in den 80er-Jahren für seine politische Arbeit Informationen in Themendossiers. Der Wunsch und Wille, diese anderen Politschaffenden zugänglich zu machen, war der Ursprung der Dokumentation. Sein Vermögen erlaubte es Daniel Brunner, Anfang der 90er-Jahre Leute anzustellen, die diese Themendossiers pflegten, eine Klassifikation erarbeiteten und ein umfangreiches Findmittel in Excel aufbauten. Zudem konnte er die entsprechenden Räumlichkeiten mieten, später kaufen, um die stetig wachsenden Themendossiers aufzubewahren und genügend Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Elf bis zwölf Angestellte mit insgesamt 800 bis 900 Stellenprozenten pflegten die Sammlung und bedienten die Kundschaft. Für diese war das Recherchieren vor Ort sowie die Teilnahme an Workshops, Führungen und Veranstaltungen stets kostenlos.
Juristisch war das Dokumentationszentrum eine Einzelfirma. Als Inhaber haftete Daniel Brunner mit seinem Privatvermögen für eventuelle Schulden sowie die korrekte Bezahlung der Angestelltenlöhne und Sozialabgaben.
Das bedeutet, dass er eine mehrschichtige Rolle innehielt. Zwar führte er den Betrieb nicht selber, dafür hatte er eine Geschäftsführerin angestellt. Als Inhaber nahm er aber Einfluss auf die strategische Ausrichtung wie auf das operative Geschäft.
Die Gefahren der Abhängigkeit
Die Konstellation war einzigartig und erlaubte es während Jahrzehnten eine umfangreiche Sammlung aufzubauen und hochstehende, für die Kundschaft kostenlose Services anzubieten. Doch sie barg Risiken. In der konkurrenzlosen Nische war es bequemer, technologische Entwicklungen zu beobachten, statt mit ihnen mitzugehen. So war der erste Online-Katalog für Themendossiers erst 2011 aufgeschaltete worden, und 2017 verharrte die Sammlung immer noch im analogen Papierzustand. Skaleneffekte stellten sich ohne Einbindung in institutionelle Netzwerke nie ein. Weder bestand ein Verbund mit anderen Dokumentationsstellen, noch eine Anbindung an die Bildungseinrichtungen im Kanton und der Region, obwohl deren Studierende und Schüler die wichtigste Nutzergruppe darstellte.
Eklatantestes Risiko aber war die Abhängigkeit von einer einzigen Finanzquelle. Und diese versiegte. 2013 informierte der langjährige Mäzen, dass er die private Finanzierung mittel- und langfristig nicht weiterführen könne. Die Zukunft von Doku-Zug war akut bedroht. Auf der Suche nach neuen Lösungen wurde in einem ersten Schritt ein Patronatskomitee mit namhaften Exponenten der Zuger Gesellschaft zusammengetrommelt. Sie sollten neue Ideen für die Zukunftssicherung einbringen und Kontakte sowie Geldquellen erschliessen.
Um Drittmittel einzuwerben, ist eine Einzelfirma ungeeignet. Als adäquate juristische Gefässe wurden sowohl die Form des Vereins wie der Stiftung intensiv diskutiert. Die Wahl fiel schliesslich auf die gemeinnützige Stiftung, die im Juli 2017 gegründet wurde.
Die Stiftung Doku-Zug
Der erste Stiftungsrat war mit neun Personen besetzt. Stiftungsratspräsident war alt Ständerat Rolf Schweiger, Doku-Gründer Daniel Brunner amtete als Vize-Präsident. Neben letztgenanntem und zwei Personen aus dem Bildungsbereich waren die restlichen sechs aktive Politikerinnen und Politiker. Drei aus dem Stadtzuger Parlament, wovon zwei zusätzlich im Kantonsrat Einsitz hatten, eine Gemeinderätin aus dem bevölkerungs- und unternehmensreichen Baar und eine weitere Gemeinderätin aus dem ländlichen Menzingen. Nicht nur geografisch, auch parteipolitisch war das Panorama weit; von den Alternativen-Grünen links über CSP, CVP, FDP bis zur SVP waren allen Parteien vertreten. Somit war der Stiftungsrat zu seinem Gründungszeitpunkt taktisch geschickt zusammengestellt, um Türen zu neuen Geldquellen zu öffnen.
Nicht vertreten war archivisches, bibliothekarisches oder dokumentarisches Know-how. Dieses Manko sollte sich aber erst später bemerkbar machen, denn die erste Aufgabe des Stiftungsrates bestand darin, Geld zu sammeln.
Die Idee der Private Public Partnership
Die Zweckbestimmung der Stiftung Doku-Zug, festgehalten in der Stiftungsurkunde, sah vor, dass das Ziel der Stiftung in erster Linie die «Gewinnung finanzieller Zusagen und namhafter Beiträge» war. Erst wenn die Stiftung innerhalb von zwei Jahren genug Gelder gesammelt hätte, hätte sie den Betrieb tatsächlich übernommen.
Die Strategie sah vor, die notwendigen Finanzmittel je hälftig von der öffentlichen Hand und von privaten Quellen zu erhalten: Private Spender wie Firmen und Einzelpersonen würden rund einen Viertel des Budgets tragen, der Kanton Zug rund einen Viertel, die Stadt Zug sowie Einwohner-, Bürger und Korporationsgemeinden einen weiteren Viertel sowie der langjährige Mäzen einen Viertel.
Die Idee, eine Gedächtnisinstitution als PPP zu betreiben, mag auf den ersten Blick erstaunen. Sie war aber nicht abwegig, denn der Kanton Zug hat zahlreiche staatliche Dienstleistungen an Unternehmen der Privatwirtschaft und private und halbprivate Organisationen übertragen, die über Leistungsaufträge die öffentliche Hand entlasten. Die PPP ist in Zug ein verbreitetes und etabliertes Modell.
Trotz erfreulicher Beispiele aus anderen Sparten, gestaltete sich die Geldsuche harzig. Während die Kundinnen und Kunden des Dokumentationszentrums solidarisch kleinere Beträge spendeten, rieben sich die Stiftungsrätinnen und -räte beim Vorsprechen bei der Politik und bei Unternehmen an mehreren Problemen auf: Erstens bedingte das unklare Profil der Institutionen aufwendige Erklärungsarbeit bei potenziellen Geldgebern.
Zweitens schreckten die hohen jährlichen Betriebskosten von über einer Million Franken ab. Flexibilität bezüglich inhaltlicher Ausrichtung und Betriebsumfang hätten den Verhandlungsboden fruchtbarer gemacht.
Eine unangenehme Pattsituation entstand: Private Geldgeber wollten ein Engagement der öffentlichen Hand sehen, bevor sie Geld versprachen. Doch Kanton und Stadt Zug – obwohl sie den Wert des Dokumentationszentrums anerkannten – wollten und/oder konnten keine Zusage machen, weil der verlangte Betrag zu hoch schien.
Bereits im ersten Geschäftsjahr der Stiftung Doku-Zug zeichnete sich ab, dass es schwierig sein würde, genügend Mittel einzutreiben, um den Betrieb im gleichen Umfang weiterzuführen. Am Ende des zweiten Geschäftsjahres musste der Stiftungsrat das Vorhaben PPP für gescheitert erklären.
Während mehr als 2500 Kundinnen und Kunden jährlich die vielfältigen Dienstleistungen des Dokumentationszentrums nutzten und schätzen, liessen sie sich nicht privat finanzieren. Eine bittere Erkenntnis.
Die Vision ABDZug
Eine andere Lösung lag nahe, wortwörtlich. Vis-à-vis des Dokumentationszentrums haben die Bibliothek Zug (Stadt- und Kantonsbibliothek) sowie das Stadtarchiv ihren Sitz. Die Vision von ABDZug war geboren: Die drei verwandten Institutionen Archiv, Bibliothek und Dokumentation bieten ihre Dienstleistungen aus einer Hand an. Für die Nutzenden spielt es keine Rolle, ob das Suchresultat aus einer Dokumentationsmappe, aus einem Buch oder einer Archivschachtel stammt. Relevant und verlässlich muss es sein.
Das Projekt «Synthese»
Der Zuger Stadtrat signalisierte Zustimmung, worauf das ABD-Projektteam bestehend aus der Bibliotheksleiterin, dem Stadtarchivar und der Doku-Geschäftsführerin skizzierte, wie eine solche Vereinigung vonstattengehen könnte. Andreas Steigmeier, Geschäftsführer des auf Informationsmanagement spezialisierten Dienstleisters Docuteam, steuerte als neutraler Navigator durch den Analyseprozess, als dessen Resultat im Juni 2019 ein Integrationskonzept vorlag. Dieses Konzept sah vor, dass der gesamte Bestand an Themendossiers plus eine Auswahl an Medien, die Findmittel sowie das Vermittlungsangebot von Doku-Zug in die Organisationsstrukturen der Bibliothek Zug integriert wird. Parallelstrukturen entstehen nicht. Die Dokumentation wird von der Bibliothek aktiv weitergeführt, jedoch nicht mehr in der früheren Breite, sondern mit dem klaren Fokus auf Zug, und neu in elektronischer Form. Den Medienbruch innerhalb der Themendossiers wird in Kauf genommen. Bis Oktober 2020 wurde in Papierform gesammelt, seit November 2020 wird dasselbe Dossier elektronisch weitergeführt. Eine spätere Retrodigitalisierung ausgewählter oder sogar aller Papierdossiers ist nicht ausgeschlossen, war aber ausdrücklich nicht Teil des Projektes.
Weil die hierarchische Klassifikation der Themendossiers für nachhaltig befunden worden war, hielt man daran fest. Da sie aber nicht im Katalog Quria/Arena der Bibliothek verwaltet werden kann, wurde die Archivdatenbank CMI Star des Stadtarchivs als neues Findmittel für die Themendossiers gewählt. Zur optimalen Vernetzung mit dem Medienbestand wurden die einzelnen Dossiers im Bibliothekskatalog gespiegelt und mit bibliothekarischen Schlagwörtern angereichert.
Durch die klare thematische Fokussierung auf zugerische Themen einerseits und durch die Nutzung von Synergien kann die Dokumentation mit deutlich weniger Personal als bis anhin weitergeführt werden. Es wurde von Anfang an vereinbart und transparent kommuniziert, dass die Bibliothek Zug kein Personal von Doku-Zug übernimmt, sondern freie Hand hat bei der Besetzung der neu geschaffenen Stellen – auf welche sich Angestellte von Doku-Zug natürlich bewerben konnten.
Der Umzug von 675 Laufmetern
Nachdem die Grundsätze abgesteckt waren und das Projekt vom Stadtrat grünes Licht für die Umsetzung erhalten hatte, ging es ans Bändigen der Teufelchen in den Details. Welche Anfragen beantwortet das Benutzungsteam, welche das Team der Zuger Sammlung? Welche Formulierungen gehören ins Benutzungsreglement? Wer versorgt ein benutztes Themendossier? In der Folge wurde es konkret: Metadaten exportieren, aufbereiten, im neuen Katalog importieren, Doublettenkontrolle, Medien ausrüsten, Know-how transferieren, Mitarbeitende schulen, Kundschaft informieren.
Ab November 2020 war dann Muskelkraft gefragt: 675 Laufmeter Dokumente wurden innerhalb von knapp drei Wochen archivgerecht umverpackt, rund 20 Tonnen Material quer über die Gasse transportiert und im Magazin der Bibliothek verstaut. Dort warten die Themendossiers darauf, genutzt zu werden. Doku-Zug hat seine private Unabhängigkeit aufgegeben, als Teil der Bibliothek Zug aber eine langfristige Perspektive gewonnen.
- 1 Die Schreibweise «doku-zug.ch» mit Minuskeln, Punkt und der von Web-Domains entlehnten Endung entsprach der Corporate Language der Institution. Die jüngere Stiftung trägt den Namen «Doku-Zug» mit Majuskeln und ohne Domain-Endung. Zu Gunsten der Lesbarkeit wird hier auf diese Unterscheidung verzichtet.