Am Puls der Zeit: Universitätsarchive
Was macht Universitätsarchive aus und welches sind ihre Eigen- und Besonderheiten? Ausgehend von ihrer langjährigen Berufspraxis in Hochschularchiven gibt die Autorin Einblick in eine spannende Archivwelt.
Universitätsarchive gehen im Panorama der Schweizer Archive oftmals vergessen. Vielfach sind spezialisierte Sammlungen und Privatarchive an Hochschulen (vgl. Artikel Roth) bekannter als die Hochschularchive selbst. Dabei haben Universitätsarchive spannende Quellen zu bieten und gehören mitunter zu den innovativsten Archiven überhaupt.
Traditionen
Die Schweizer Hochschularchive haben unterschiedlichste Traditionen. Die Spannbreite der Universitätsgründungen in der Schweiz, die von mittelalterlichen Ursprüngen (BS) bis hin zu Gründungen um die Jahrtausendwende (LU, SUPSI) reicht, spiegelt sich auch im Alter der zugehörigen Universitätsarchive. Die zunehmende Verselbständigung der Hochschulen Ende des 20. Jahrhunderts ging mit der Autonomisierung der zugehörigen Universitätsarchive einher. Dieser Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen, immer noch gibt es Universitätsarchive, die den Kantonsarchiven angegliedert und/oder abgabepflichtig sind. Für unselbständige Hochschularchive, die auf das Dokumentationsziel eines Staatsarchivs eingeengt sind, ist die Überlieferung der universitären Kernaufgaben eine kaum zu bewältigende Herausforderung.
Die Freiheit von Forschung und Lehre – die zwei Kernaufgaben jeder Universität – ist Garant für Kreativität und Innovation in der Wissenschaft. Aus Perspektive der Universitätsarchive mag dies Fluch und Segen zugleich sein. Das Recht auf Geistiges Eigentum etwa geht an Hochschulen viel weiter als anderswo. Konkret verbleiben Forschungs- und Lehrunterlagen in der Regel bei Professorinnen und Professoren, weil Arbeitsunterlagen von angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als «Privatarchive» taxiert werden. Dies obwohl sie de facto im staatlichen Auftrag entstehen und meist mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Durch diese Auslegung fallen entsprechende Akten nicht unter die gesetzliche Anbietepflicht. Ausserdem fehlen den Universitätsarchiven leider oft auch die Ressourcen, Vor- und Nachlässe ihrer Professorinnen und Professoren aktiv einzuwerben und zu übernehmen. Beides ist bedauerlich, ist es doch gerade die Kombination von Verwaltungsarchiv und «privaten» Unterlagen aus Forschung und Lehre, die die Hauptaufgaben der Universitäten am zuverlässigsten dokumentieren.1, 2
Zum Glück ist es einigen Hochschularchiven gelungen, eine «Anbietetradition» für Vor- und Nachlässe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Archive von wissenschaftlichen Gesellschaften zu etablieren. An erster Stelle sei hier auf das Hochschularchiv der ETH Zürich verwiesen, wo 210 Nachlässe von Professorinnen und Professoren überliefert sind. Neben Dokumenten aus der Wissenschaft sind darin oft auch persönliche Unterlagen enthalten, was der historischen Forschung eine ganzheitliche Betrachtung einer wissenschaftlich tätigen Person erlaubt. Zu den Schätzen des ETH-Hochschularchivs gehören 9 Privatarchive von Nobelpreisträgern. Kommt dazu, dass bspw. zu Albert Einstein und weiteren Koryphäen der Wissenschaft in Nachlässen von befreundeten Wissenschaftlern, Korrespondenzpartnern oder auch in Verwaltungsbeständen weitere wichtige Quellen überliefert sind.
Wer sich mit Wissenschaftsgeschichte, Technikgeschichte, mit Universitätsgeschichte oder mit Biographien von Hochschulangehörigen befasst, kommt auch an den amtlichen Beständen von Universitätsarchiven nicht vorbei. Promotionsakten, Habilitationsakten, Forschungsgesuche, Berufungsunterlagen, etc. geben Aufschluss über Forschungstendenzen, über Forschungsprozesse, Rückschläge und Erfolge in den Wissenschaften. Da die publizierten Forschungsresultate in der Regel in den (Universitäts-) Bibliotheken greifbar sind, müssen sich die Universitätsarchive nicht speziell darum kümmern. Protokolle und Geschäftsakten der Universitätsleitungen und Fakultäten zeigen unter anderem, welche Forschung gefördert wird und wie die Lehre bzw. die Ausbildung des akademischen Nachwuchses sichergestellt wird. Auch gesellschaftliche Umwälzungen gehen immer wieder von Hochschulen aus, weshalb auch Archive von akademischen Gruppen und universitären Vereinen einen reichhaltigen Fundus für unzählige Themen und Fragestellungen bieten. Der «universitäre Kosmos» mag zwar manchmal eine Welt für sich sein, aber er bleibt immer mit der Gesamtgesellschaft verwoben, die ihn trägt.
UAZ E.7.1.206 Uni Schliessung, Zürich 1971
Digitalisierung
Das akademische Umfeld birgt zuweilen auch Nachteile, insbesondere im Verwaltungsarchiv. Obwohl mittlerweile der Bedarf für Records Management / Digitale Geschäftsverwaltung und -führung unbestritten ist und auch vom Gesetzgeber verlangt wird, gibt es Hochschuladministrationen, die sich über entsprechende Vorgaben hinwegsetzen. Diejenigen Universitätsarchive, in deren Archivsprengel die Digitalisierung der Verwaltung erfolgt (ist) und wo Akten nach klaren Regeln angelegt, verwaltet und bearbeitet werden, sind hinsichtlich Vollständigkeit, Zuverlässigkeit, Integrität (und Benutzbarkeit) klar im Vorteil. Dort, wo immer noch die Tendenz besteht, keine zentralen Ablagen zu führen, auf Dossierbildung zu verzichten oder dort, wo jegliche Software ohne Regelwerk zum Einsatz kommt im Vertrauen darauf, dass mit genügend Speicherkapazität und potenten Suchmaschinen alles wiedergefunden kann, wird es schwierig bei der Archivierung. Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass erst die Einführung top-down von RM/GEVER durch die Universitätsleitung einen Wandel erzeugt, bzw. dass mit noch so kompetenter Aktenführungs-Beratung von Hochschulorganen auf den unteren Hierarchivstufen durch Archivfachpersonal keine nachhaltige Verbesserung erzielt werden kann.
Universitätsarchive müssen mit dem wissenschaftlichen Fortschritt an den Hochschulen Schritt halten. Da Universitäten zu den ersten Institutionen gehörten, an denen Computer benutzt und Rechenzentren installiert wurden, an denen die ersten Emails verschickt wurden und den analogen Schriftverkehr ablösten, etc. gehörten Universitätsarchive auch zu den ersten Archiven in der Schweiz, die die Digitale Langzeitarchivierung erfolgreich einführten. In diesem Bereich gehörten das Universitätsarchiv Zürich sowie das ETH-Hochschularchiv Zürich zu den Vorreitern. Das Universitätsarchiv Zürich war zudem das erste Hochschularchiv, das Unterlagen aus einem GEVER-System archivierte.
Bei Erschliessung und Benutzung sind die Universitätsarchive nahe am Puls der Zeit. Der technologische Fortschritt, u.a. bei der Künstlichen Intelligenz (KI), bringt neue Möglichkeiten für Erschliessung und Vermittlung mit sich. Neue Disziplinen wie die Digital Humanities, die Arbeitsweisen und Methoden von Informatik und Geisteswissenschaften miteinander kombiniert, tragen ihrerseits dazu bei, dass Universitätsarchive ihre bisherige Erschliessungspraxis überdenken, um den aktuellen Bedürfnissen der Benutzerinnen und Benutzer gerecht zu werden. Ob KI-gestützte Handschrifterkennung, e-Portale, Digitaler Lesesaal: Die Hochschularchive sind nahe dran an den Bedürfnissen ihrer (wissenschaftlichen) Klientel und gehen mit der Zeit.
- 1 Zum Dokumentationsprofil einer Universität sei auf die ALIS-Masterarbeit von Bolliger (2012) über die Universität Zürich verwiesen, https://doi.org/10.18755/iw.20...
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Abstract
- Deutsch
- Français
Universitätsarchive sind eine besondere Archivgattung. Der Text wirft Schlaglichter auf ihre Eigen- und Besonderheiten und legt das Augenmerk auf die von ihnen ausgehende Innovationskraft, unter anderem bei der Digitalisierung.
Les archives universitaires sont un type d'archives particulier. Le texte met en lumière leurs spécificités et leurs particularités et met l'accent sur la force d'innovation qu'elles représentent, notamment en matière de numérisation.