Lindisfarne und die Floppy Disc
Darf ich vorstellen: Das ist das Buch Lindisfarne. Lindisfarne ist alt, sehr alt. Bereits 1300 Jahre hat der alte Kerl auf dem Buckel. Zurückgezogen lebt der Bücherrentner in einem Regal in der British Library! Hin und wieder wird er mit weissen Handschuhen zur Untersuchung und Konsultation aus dem Schlaf gerissen, was Buch Lindisfarne den Tätern etwas übel nimmt. Zumeist hat er aber ein ruhiges Leben und geniesst seinen Ruhestand. Ans Sterben denkt er nicht. Schliesslich ist er noch rüstig!
Darf ich weiter vorstellen: Das ist Floppy Textfile. Floppy Textfile ist im Vergleich zum Buch Lindisfarne ein waschechter Amerikaner. Geboren wurde Floppy im Jahre 1975. Er ist also eigentlich noch jung. Er fühlt sich jedoch, ganz im Vergleich zu seinem Alter, äusserst krank! An was mag das wohl liegen? Er liegt ebenfalls in einem Regal in der British Library, fühlt sich aber wie auf einer Krankenstation. Rund um ihn herum liegen seine Kollegen, und denen geht es auch überhaupt nicht gut!
Wie gesagt, wurde Lindisfarne bereits vor langer, langer Zeit erschaffen. Sein Schöpfer heisst Eadfrith und war Mönch im Kloster Lindisfarne in der Nähe der heutigen Stadt York in Nordengland! Sein Grundmaterial besteht aus Kalbspergament, beschrieben wurde es kunstvoll mit selbst hergestellter Tinte. Seine Schöpfung dauerte Jahrzehnte. Darauf ist Lindisfarne sehr stolz. Durch die Liebe, die ihm sein Leben lang entgegengebracht wurde, vom Schöpfer Eadfrith bis zu den Bibliothekaren in seiner heutigen Residenz, blieb er immer gut aussehend.
Floppy ist aus Kunststoff und enthält eine Magnetspur! Er wurde ohne besondere Liebe in einer grossen Fabrik erschaffen. Der arme Floppy wurde sein Leben lang ohne Liebe genutzt. Deswegen ist Floppy in einem schlechten Zustand, sein Kunststoffkörper ist am Zerfallen, und er stinkt nach Fett und Staub! Das kümmert aber eigentlich niemanden. In seiner frühesten Jugend wurde Floppy mit Informationen vollgestopft, zwei-, dreimal wurde auf sein umfangreiches Wissen zurückgegriffen, dann wurde er aber bereits an seinen jetzigen Standort verfrachtet. Seither fristet er sein Leben an diesem Ort!
Lindisfarne sieht seiner Zukunft gelassen entgegen. Die sorgfältige Behandlung, die wiederkehrenden Massagen und die Pflege durch die Bücherärzte (Restauratoren) tun Lindisfarne sehr gut! Schon dutzendfach wurde er ins Buchsolarium gesteckt (Scanner), so dass er heute auch im Internet ersichtlich ist.
Floppy Disc Textfile hat keine Zukunft mehr, und das weiss er selber ganz genau. Schon seit Jahren hat ihn niemand mehr besucht in seiner einsamen Regalkammer. Dazu kommt noch, dass Floppy inzwischen das Gefühl hat, dass er seine Informationen gar nie mehr irgendwo abgeben könnte. Die Geräte, die Floppy braucht, um kommunizieren zu können, sind längst einer neuen Technik gewichen.
Lindisfarne ist ein gutes Beispiel, wie Bibliotheken Informationsträger immer weitergeben respektive auf neue aktuelle Träger umformatieren können. Selbst wenn Lindisfarne zerstört würde, wäre die Information gesichert und kann erst noch publikumswirksam über Internet vertrieben werden!
Die Bibliothek am Guisanplatz BiG (ehemals Eidg. Militärbibliothek) verfügt über eine grosse Sammlung von alten Militärpostkarten. Die Postkartensammlung, damals noch in Plastikfolien, wurde von der BiG vor der Vernichtung gerettet. Während meiner Lehrzeit durfte ich diese Spezialsammlung vor dem Zerfall retten und archivgerecht in säurefreie Schachteln und Couverts ablegen.
Bereits im Jahr 2003 realisierte die BiG ein Digitalisierungsprogramm, bei welchem ihre Autographensammlung «Dr. Heberlein» der Öffentlichkeit online zur Verfügung gestellt wurde (www.milautograph.ch).
Ich hatte das Glück – gleich nach der Lehre – im Zentrum für elektronische Medien (ZEM) in ein Projekt einsteigen zu können, bei welchem es genau um diese Art von Wissenserhaltung und -vermittlung geht. Das Projekt läuft unter dem Titel «Multi Asset Management MAM» und hat den Zweck, eine neuartige Multimediadatenbank zu entwickeln. Darin sollen in Zukunft alle elektronischen Publikationen des VBS (mittelfristig) archiviert und publiziert werden. Langfristig ist vorgesehen, dass in dieser Datenbank die Publikationen vieler weiterer Institutionen des Bundes (auch der BiG) in digitaler Form gespeichert werden. Die Aufbereitung alter Bestände wurde mit der Bibliothek am Guisanplatz als Pilotmandant und den Militärpostkarten der BiG als Pilotbestand erfolgreich getestet. Problematisch ist vor allem der Umstand, dass die verschiedenen Dateitypen auf dieser Datenbank sich unterschiedlich verhalten können. Ausserdem müssen die Serveranlagen äusserst leistungsstark sein. Das erste Problem konnten unsere Leute lösen, und über einen guten Server verfügen wir zum Glück. Die Postkarten stehen ab sofort unter www.mediathek.admin.ch, zusammen mit vielen aktuellen Medien des ZEM, allen Leuten zur Verfügung.
Wäre Floppy Disc schon vorher immer wieder umformatiert worden, würde man in Zukunft vielleicht den Text und die Informationen dieser Floppy Disc auf einer modernen Datenbank finden. Aber dies ist ja eben nicht geschehen!
Quellen: Faksimile Verlag (Buch Lindisfarne) und Wikipedia (Floppy Disc Textfile)
Résumé
- Français
Le vieux manuscrit Lindisfarne, enluminé, rédigé en latin et réalisé dans le Royaume de Northumbie entre le VIIe et le VIIIe siècle par le moine Eadfrith, contient le texte des quatre évangiles. Conservé à la British Library à Londres, il fait la joie des érudits. Richement illustré, l’ouvrage a demandé des décennies de travail et il est doté d’une reliure soignée faite de cuir, de pierres précieuses et de métaux. Il bénéficie d’une longue vie et d’un traitement de faveur de la part des restaurateurs. Les nouvelles technologies lui permettent d’être toujours accessible. A l’inverse, Floppydisc, né en Amérique en 1975, fait déjà date; créé dans une grande entreprise, il a été utilisé, a rendu service et s’est épuisé; il a rapidement vieilli et a été supplanté par d’autres moyens plus efficaces. L’exemple de Lindisfarne est révélateur de la manière dont les bibliothèques peuvent conserver et transmettre des informations en passant d’anciens à de nouveaux supports techniques. L’auteur a eu la chance de travailler avec l’ancienne bibliothèque militaire suisse, où il a participé à la conservation traditionnelle de vieilles cartes postales, à la mise en œuvre d’un vaste programme de numérisation de nombreux documents, ainsi qu’à la création d’une banque de données multimédias permettant de transférer des données d’un support à l’autre. L’une des tâches des bibliothèques consiste donc à s’adapter à la transcription d’un mode informatique ancien à une technologie plus récente pour transmettre le patrimoine culturel de la société.