iPad, Sony-Reader, Kindle oder doch lieber ein gebundenes Buch?
Fragen über Fragen. Mit welcher Software, mit welchem Gerät soll man E-Books lesen, mit dem Kindle, dem Sony oder etwa gar mit dem iPhone? Soll man für die Bibliothek E-Books lizenzieren oder kaufen, und was ist mit dem Netzwerk, was mit den Rechten?
Kauft man einen Sony, dann ist der Bildschirm nur schwarz-weiss, alle sind noch ziemlich teuer, das iPad ist ziemlich schwer und man braucht eine Internetverbindung. Die Wahl ist nicht einfach. Was aber einfach ist, ist die Kritik an neuen Geräten, neuen Gadgets, denn keine dieser Versionen 1.0 erfüllt die Erwartungen, die an ein perfektes Tool gestellt werden, man denke nur an das Rocket Book. Vergessen wird dabei, dass in wenigen Jahren niemand mehr über die erste Version eines iPads sprechen wird. Der erste tragbare Computer, der Osborne der frühen 1980er-Jahre, ist Geschichte und wird heute belächelt; sein Potenzial, Texte digital und mobil zu erstellen, wurde erst mit den viel leichteren Laptops ausgeschöpft. Heute arbeitet jeder Student mit einem Laptop, und Texte werden praktisch ausschliesslich digital produziert.
Auch wenn es den Anschein macht, dass alles immer schneller und schneller geht und wir tatsächlich das neue Gerät von heute in ein bis zwei Jahren als veraltet weglegen können – technische Entwicklungen brauchen nach wie vor zehn bis zwanzig Jahre, bis sie aus dem Labor kommen und sich schliesslich im Alltag durchsetzen.
Weder ein iPad noch ein Kindle sind über Nacht entwickelt worden. Ihre Vorläufer wurden bereits Mitte der 1980er-Jahre getestet, aber weder war damals die Bildschirmtechnologie für mobile Geräte weit genug entwickelt, noch waren die Applikationen vorhanden, um ein Produkt herzustellen, das sich auf dem Markt bewährte. Erst mit den neuen Bildschirmen der Firma E Ink wurden die heutigen Sony-Reader möglich. Die Reader gibt es erst seit einigen Jahren, die Entwicklung der E-Ink-Technologie1begann aber bereits 1997.
Beurteilt man den Nutzen und den Einsatz eines Produktes anhand seiner ersten Version, unterschätzt man oft sein langfristiges Potential. Eine solche «Verurteilung» kann dann dazu führen, dass man von den wirklich durchschlagenden Versionen vielleicht ein, zwei Jahre später überrascht wird und nicht weiss, wie man das Produkt in seinen Betrieb integrieren soll. Einer der ersten E-Reader, das Rocket Book, ist dafür ein gutes Beispiel. Das Gerät setzte sich auf dem Markt – aus berechtigten Gründen – nicht durch. Viele Leute schrieben aber damals nicht nur dieses spezifische Produkt ab, sondern erklärten das Konzept E-Book insgesamt für unsinnig. Heute sind sie eines Besseren belehrt.
Die zweitbeste Art, die Zukunft vorauszusagen
Während sich «Early Adaptors» und sonstige Trendsetter über die Vor- und Nachteile eines iPads streiten und viele in die Kristallkugel starren, um die Zukunft des Buches zu erspähen, sind Entwickler dabei, an Applikationen zu arbeiten, die unsere Vorstellung darüber, was Texte, Bilder oder Filme sind, substanziell verändern werden. Einer dieser Entwickler ist Alan Kay vom MIT, der am berühmten 100-Dollar-Laptop mitarbeitete. Er sagte zu IBM-Managern, die sich Sorgen um die Zukunft machten: «Die beste Art, die Zukunft vorauszusagen, ist, die Zukunft zu erfinden.»Alan C. Kay, Predicting the Future, in: Stanford Engineering, Vol. 1, No 1, Autumn 1989, S. 1–6, www.ecotopia.com/webpress/futures.htm,aufgerufen 21.2.2010.
Bibliotheken gehören normalerweise nicht zu den Institutionen, in denen die Zukunft erfunden wird. Wir geben aber gerne Prognosen ab, nur «Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen», wie ein etwas abgenutztes Bonmot lautet. Deshalb mag für uns die zweitbeste Art genügen, nämlich die, zu wissen was sich in der Gegenwart gerade am Horizont abzeichnet, damit wir nicht von Produkten überrascht werden, deren Nutzen wir nicht erkennen können.
Zur zweitbesten Art gehört auch, zu wissen, wie die Internetgeneration mit Neuem umgeht. Die heutigen 12-Jährigen, die digitalen Eingeborenen, denken, dass Handys gottgegeben sind, und wissen nicht, warum wir sagen, «wählen Sie diese Telefonnummer». Für sie ist E-Mail etwas für alte Leute, sie halten sich seit 2004 – in wachem Zustand – vorzugsweise auf Facebook auf, wenn sie nicht gerade SMS verschicken oder online chatten. Für Jugendliche ist es selbstverständlich, dass sich die Dinge ändern, und sie erwarten, dass es dauernd neue Geräte gibt. Während bei Erwachsenen neue Tools einfach funktionieren müssen, werden sie von Jugendlichen sofort auf individuelle Bedürfnisse, auf das eigene Profil abgestimmt. Don Tapscott beschreibt dies in seinem Buch «Grown up digital» als customization, eine von acht net gen normsDon Tapscott, grown up digital: how the internet generation is changing your world. McGraw Hill 2009, S. 73 ff.. Die anderen sind freedom, scrutiny, integrity, collaboration, entertainment, speed und innovation.
Lesenhörenschauen
Heute lesen wir einen Roman auf einem E-Reader, wir hören den Text auf einem iPod, und wir schauen den Film über Youtube oder die TV-Version über Zatoo auf dem Laptop. In Zukunft werden wir eine Geschichte lesenhörenschauen, wahrscheinlich mit einem iPad-ähnlichen Gerät.
Das Lesen von Zeitungsnachrichten digital ist mit dem iPad komfortabel. Richtig spannend wird es aber, wenn die bewegte Zeitung, die man aus Harry Potters Welt kennt, real wird. Erste Versuche gibt es bereits zum Ausprobieren. «Entertainment Weekly» integrierte 2009 einen Videoclip in eine Ausgabe ihrer gedruckten Zeitschrift. Auf einer Seite ist eingebettet in eine dünne Plastikfolie ein Videoclip auf einem Chip. Beim Aufschlagen der Seite läuft auf diesem Minibildschirm ein kleiner Film komplett mit Ton ab (http://www.youtube.com/watch?v=fgJ6DA50thw).
Vielleicht ein Spielzeug? Auf jeden Fall aber eine Verschmelzung von Medien, die schon vor mehr als zwanzig Jahren von der Wissenschaft prophezeit wurde.
Schauplatz Downloads
Heute gehen die Leute in die Bibliothek, um Bücher oder DVDs physisch auszuleihen oder sie sogar digital herunterzuladen. Immer kontrolliert durch die Mitgliedschaft bei der Bibliothek, kompliziert fürs Management durch «digital rights control»-Mechanismen, Lizenzfragen und Netzwerk- konstellationen.
Wird das noch attraktiv sein, wenn ich schon jetzt mit einem iPod in der Buchhandlung stehe, online mit dem Gratis-WLAN des Ladens einen Vergleich des Preises des Bestsellers im Geschäft mit dem Preis von Amazon mache und feststelle, dass der Dan Brown als E-Book nur 11 Dollar anstatt der 25 Dollar gebunden kostet. Ich lade ihn in Sekundenschnelle auf den iPod und lese ihn dort mit der Kindle-Software.
Dieses Beispiel, der neuste Dan-Brown-Bestseller von 2009, wird in der Verlagswelt als Paradigmenwechsel angesehen. Zum ersten Mal wurde ein Roman gleichzeitig gedruckt und als E-Book herausgebracht, und in den ersten Tagen wurden mehr E-Book-Versionen als gedruckte Exemplare verkauft. Trotzdem erschien der Thriller mit einer Auflage von 6,5 Millionen problemlos auch auf der Bestsellerliste der gedruckten Bücher, weil natürlich noch längst nicht alle Leser einen E-Reader besitzen.
Nun hat alles Neue – wie immer – auch seinen Preis. Nicht einmal 24 Stunden nach Erscheinen des E-Books tauchten digitale Raubkopien im Internet bei File-Sharing-Websites wie Rapidshare auf. In wenigen Tagen wurden über 100 000 digitale Gratiskopien, also Raubkopien, heruntergeladen. Die Diskussion um freie Inhalte im Internet wird so weiter angefeuert.
Wird es noch attraktiv sein, dass öffentliche Bibliotheken Onlineangebote machen, wenn Bücherkaufen bereits auf Platz eins der Onlinegeschäfte steht und 97,6 Prozent der Internetnutzer (in Deutschland) schon einmal Produktinformationen online recherchiert haben?2Man stelle sich vor, was geschähe, wenn zukünftig Google Books eine Art «Bibliotheksmitgliedschaft» anböte, mit der man Zugriff auf das gesamte digitale Angebot erhielte. Und, noch besser, mit der man einen Einzeldruck einer alten, vielleicht auch neueren, vergriffenen Ausgabe bestellen könnte?
Google bietet in einigen Buchhandlungen und Bibliotheken bereits diesen Buchdruckservice an, die Espresso Book Machine3, die von jedem Titel aus Google Books (sofern es die Rechte zulassen) innerhalb von zehn Minuten für knapp zehn Dollar ein Taschenbuch druckt.
Schauplatz Bilderbücher
Werden Bilderbücher noch ein «Geschäft» der öffentlichen Bibliotheken sein, wenn in den nächsten Monaten eine neue Readersoftware von Ray Kurtzweil erscheint? Diese Software, Blio, wird digitale Texte synchron zur Geschwindigkeit der Augen vorlesen, und zwar nicht mit einer blechernen Stimme, sondern einer sehr realen Siehe Interview mit Ray Kurtzweil auf Youtube: 4.
Wie attraktiv werden gedruckte Bilderbücher noch sein, wenn es digitale Bilderbücher geben wird, wo auf einen Klick die Bilder sich zu bewegen anfangen und Text und Bild eins werden?
Schauplatz Fachbücher
Warum brauchen wir in der Zukunft noch gedruckte Fachbücher, wenn es auch so geht:
Chris Anderson, Chefredaktor der Zeitschrift «Wired», publizierte sein neustes Buch «Kostenlos – Geschäftsmodelle für die Herausforderungen des Internets» gleich in verschiedenen Formen:
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Das gedruckte Buch erscheint bei einem traditionellen Verlag.
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Gleichzeitig erscheint eine digitale Version, und zwar als Sonderangebot in den ersten zwei Wochen nach Erscheinen des Buches gratis bei Google Books und auf Andersons Website, sowie eine Hörbuchversion. Das edierte, gekürzte Hörbuch musste man kaufen, eine ungekürzte Version, von Anderson gelesen, gab es kostenlos. Allerdings funktionierte der E-Book-Download nur in den USA, was mit den komplexen internationalen Buchrechten, welche die Verlage kontrollieren, zu tun hat.
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Ebenfalls gleichzeitig erscheint eine digitale, kostenlose Hörbuchversion in Europa.
Drei Wochen nach Erscheinen der digitalen und kostenlosen Versionen hatte es das gedruckte, gebundene Buch trotzdem auf Platz 12 der «New York Times»-Bestsellerliste geschafft. Während die Gratis-E-Book-Version etwa 300000-mal heruntergeladen wurde, fand das Buch für 25 Franken auch Hunderttausende von Käufern, welche eine physische Ausgabe in der Hand haben wollten. Diese Parallelwelten werden sich wohl in einigen Jahren ausgelebt haben, spätestens dann, wenn die Präinternetgeneration ausgestorben sein wird.
Warum brauchen wir in der Zukunft noch wissenschaftliche Verlage, wenn es auch so geht:
McKenzie Wark, Professor für Medienwissenschaft an der New School in New York, wurde bekannt durch sein Buch «Das Hacker Manifest». Er ist jemand, der mit wissenschaftlichen Kommunikationsformen experimentiert und zeigt, wie man beim Schreibprozess Textteile mit Kollegen diskutieren kann. Sein letztes Buch, «Gamer Theory», wurde vor dem Erscheinen bei der renommierten Harvard University Press als sogenanntes netzwerk-Buch auf dem Internet publiziert5.D.h., er machte aus seinem Manuskript eine Website und lud zu einem wissenschaftlichen Diskurs über den Text ein. Zu jedem Abschnitt seines Buchs gab es ein Fenster, in dem der Text in einer Art Blog kommentiert werden konnte.
In den Text selber konnte nicht direkt eingegriffen werden. Am Rand der Seite gab es ein Forum, in dem eine Diskussion über den Text geführt wurde.
Professor Wark meint, dass der Diskurs, der Austausch mit Kollegen über diese Website, ihn unter anderem dazu brachte, das erste Kapitel völlig umzuschreiben und so zu verbessern. Versuche wie dieser bringen Veränderungen im wissenschaftlichen Publizieren mit sich, Texte werden dynamisch und interaktiv. Das eröffnet z.B. für die Peer Reviews völlig neue Arbeitsmöglichkeiten.
Wohin des Wegs?
Diese Beispiele zeigen, dass wir uns ohne Zweifel in einer Zeit des Übergangs befinden, in einer Zeit kultureller Kernschmelze. Alles, was bisher materieller Träger der Kultur war, zerfällt. Die analoge Speicherung hat sich überlebt, und selbst digitale Speichermedien wie CDs sind praktisch schon dem Tode geweiht. Wir laden uns einzelne Songs, Musikschnipsel von iTunes runter, die Zeitung nimmt man in 4-Zeilen-Meldungen wahr, und Bücher verkommen dereinst vielleicht zu Textschnipseln oder werden zu multidimensionalen Kulturerzeugnissen, die man als reinen Text oder je nach Bedarf und Inhalt auch visuell oder audiovisuell zu sich nehmen kann.
- 1 http://www.eink.com/.
- 2 Boersenblatt.net vom 24.6.2010.
- 3 http://www.lightningsource.com.
- 4 http://www.youtube.com/watch?v=KIVPfj6ryME.
- 5 Siehe http://www.futureofthebook.org/gamertheory.
Résumé
- Français
Contrairement aux apparences, les innovations techniques mettent encore 10 à 20 ans pour s’inscrire dans notre quotidien. Cela ne signifie pas que nous n’avons pas besoin de nous y intéresser. En effet, nous courrions le risque d’être surpris par une version percutante et de ne pas savoir l’intégrer dans notre travail.
Les médias se mélangent toujours plus; aujourd’hui, nous lisons-écoutons-visionnons sur e-reader, iPod et YouTube. Toute une série de questions se posent dans divers domaines qui laissent présager de grandes évolutions: est-il encore nécessaire que les bibliothèques offrent des DVD et des livres physiques? En effet, l’achat de livres en ligne figure déjà à la première place des achats online. De plus, Google Books permet d’imprimer rapidement les éditions épuisées. Dans le futur, aurons-nous encore besoin de livres spécialisés, imprimés? McKenzie Wark, professeur de sciences des médias de New York, a fait un site web de son manuscrit «Gamer Theory» et a ainsi engagé un discours scientifique sur la base duquel il a ensuite complètement réécrit le premier chapitre de son livre. Cet exemple démontre que nous nous trouvons dans une époque de transition dans laquelle les supports matériels de culture disparaissent.