18 Jahre nach dem Start: Wo steht das praxisorientierte Fachhochschulstudium heute?
Die Schweizer Fachhochschulen sind eine junge Institution, deren Gründung und Entwicklung für die Aus- und Weiterbildung der Informationsberufe fundamental war.
Nach Deutschland und Österreich beschloss der Bund 1995 für die Schweiz ein Fachhochschulgesetz1 in Kraft zu setzen. Geplant war zirka 70 Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV), die Höhere Technische Lehranstalt (HTL, Ingenieurschule, kurz Technikum genannt) sowie die höheren Fachschulen für Gestaltung (HFG) in sieben organisatorischen Fachhochschulen (FH, HES, SUP) zusammenzufassen. Später kamen noch Fachschulen für den Sozial- und Gesundheitsbereich dazu. Dies sollte nach dem politischen Willen nach der Berufslehre und Berufsmaturität eine weiterqualifizierende Ausbildung auf Hochschulniveau ermöglichen.
Die Voraussetzung zu einem FH-Studium ist gemäss Fachhochschulgesetz eine abgeschlossene Berufslehre mit Berufsmatura, oder eine abgeschlossene Matura mit einem Praxisjahr im entsprechenden Bereich. Bei vielen FH-Studiengängen kann – ein Lehrabschluss vorausgesetzt – eine Zulassung auch durch das Bestehen einer Aufnahmeprüfung oder einem schulischen Diplom2, die dem Niveau der Berufsmatura entspricht, erreicht werden.
Drei Verbände raufen sich zusammen, um einen langgehegten Wunsch zu erfüllen
Für die drei damaligen Berufsverbände BBS, SVD und VSA ging damit ein lang gehegtes Desiderat nach einem staatlich anerkannten Berufsabschluss in Erfüllung. Seitens der Bibliotheken hatte man bereits seit den 1930er-Jahren des letzten Jahrhunderts Bemühungen nach einer Vereinheitlichung der Berufsausbildung angestrebt, was dann zum BBS-Diplom führte, dessen Anerkennung jedoch einer freiwilligen Übereinkunft der Bibliotheken entsprach, der jedoch jegliche staatliche Anerkennung fehlte. Der Bund liess die Verbände wissen, dass man bereit wäre, je einen entsprechenden Studiengang in der Romandie und in der Deutschschweiz zuzulassen, sofern man sich auf eine gemeinsame Berufslehre einigen könne. Zu diesem Zweck beschlossen 1994 die drei damaligen Berufsverbände3 ihre Jahresversammlungen gemeinsam in Lausanne abzuhalten. In getrennten Versammlungen einigte man sich auf eine gemeinsame Berufslehre, die mittels Berufsmatura zum Fachhochschulstudium führen sollte. Diese Beschlüsse waren der intensiven Vorbereitung und dem guten Einvernehmen unter den drei Verbandspräsidenten zuzuschreiben. Seither ist es nicht mehr gelungen, sich an einem Ort zu gemeinsamen Mitgliederversammlungen zu treffen.
Chur und Genf werden Fachhochschulstandorte
Chur, Genf und Luzern bewarben sich als drei künftige Fachhochschulen darum, ein informationswissenschaftliches Studium in ihr Angebot aufzunehmen: 1998 genehmigte der Bundesrat die sieben Fachhochschuleinheiten und gab Chur und Genf den Zuschlag ein Information- und Dokumentationsstudium (IuD-Studium)anzubieten, wie die damalige Bezeichnung lautete. Während die Genfer Haute École de Gestion (HEG) mit ihrer Studienrichtung auf die seit 1918 bestehende Erfahrung der École de bibliothécaires die seit jeher dem Institut d'études sociales angeschlossen war, mit einem Vollzeitstudienangebot zurückgreifen konnte, hatte die Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur (HTW Chur) seit anfangs der 1990er-Jahre ein berufsbegleitendes Nachdiplom Information und Dokumentation (NDS I+D). Als Studienleiter der beiden damaligen FH-Studiengänge wurden Yolande Estermann für die HEG und Stephan Holländer für die HTW Chur ernannt. Bereits 2001 erfolgte eine erste Peer Review4. Viel Zeit für den Aufbau blieb also nicht, da es auch gleich darum ging die zweite Bedingung des Aufbaus einer angewandten Forschung zu erfüllen. Kurz darauf erfolgte dann auch eine zweite Peer Review. Berufsbegleitende Studiengänge5, durchgeführtes Bachelorteilzeitstudium sowie ein französisch-deutschsprachiger Studiengang an der HEG ab 2001 ergänzten das damalige IuD-Bachelorangebot.
Der Master hält Einzug
Ab 2005 stand der Bologna-Prozess mit der Durchführung von Bachelorstudiengängen an. In der Folge entstand ein eigentlicher Wettbewerb um die Führung von Masterstudiengängen zwischen den Universitäten und den Fachhochschulen. Sowohl die HEG als auch die HTW Chur bewarben sich um die Führung eines Masterstudienganges im Bereich der Informationswissenschaft. Es musste der Nachweis erbracht werden, dass 30 Studierende pro Masterstudiengang sich einschreiben würden. Die grösste Herausforderung stellte jedoch die Anforderung dar, einen gewissen Umfang an Forschungsprojekte nachzuweisen. Da es an keiner Schweizer Universität einen informationswissenschaftlichen Lehrstuhl gab, war die diesbezügliche Forschung exklusiv an den beiden Fachhochschulen angesiedelt, was auch der Durchführung je eines Masterstudiengangs förderlich war. Ab 2008 wurden erstmalig Masterstudiengänge durch die Fachhochschulen in Chur und Genf angeboten. Die Masterstudiengänge erwiesen sich auch noch in anderer Hinsicht als Knacknüsse. So kooperierte die HEG Genf mit der Universität in Montreal und teilte sich so die erforderlichen minimalen Studierendenzahlen. Chur machte die Erfahrung, dass ein jährlich stattfindender Vollzeitstudiengang nicht auf die erforderliche Mindestanzahl an Studierenden kam. Heute finden nun die Masterstudiengänge berufsbegleitend alle zwei Jahre an beiden Fachhochschulen statt.
Begehrte MAS – aber auch Verwässerung
Ein Erfolgsmodell seit Jahren ist der Master of Advanced Studies (MAS) der seit 1992 nur an der HTW Chur durchgeführt wird. Die maximale Studierendenzahl wurde bis jetzt jeweils erreicht, denn das Angebot ist für Quereinsteiger in den Beruf attraktiv. In drei Semestern und mit Abfassung einer Masterarbeit wird der Studienabschluss berufsbegleitend erreicht. Die beiden Fachhochschulen sind auch in der Weiterbildung tätig. Die Regelungsdichte im Bereich der Weiterbildung ist längst nicht so dicht wie für die Bachelor- und Masterstudiengänge. Die Weiterbildungsangebote werden im Bereich der Informationswissenschaft heute teilweise in Kooperation mit dem Berufsverband BIS durchgeführt. Die Fachhochschulen haben sich in der Schweiz durchgesetzt, wie die Studierendenzahlen belegen. Mit dem nun geltenden Hochschulförderungsgesetz rückt man vom ursprünglichen Grundsatz des «gleichwertig aber andersartig» ab und betrachtet die tertiären Bildungsinstitutionen – also die universitären Hochschulen, die Fachhochschulen und die Pädagogischen Hochschulen – als Einheit. Dies verwässert die Profilierung der Fachhochschulen, die Lehre und Forschung auf wissenschaftlicher Grundlage mit anwendungsorientiertem Schwerpunkt betreiben sollen.
I+D-Fachleute – kompetent in der Gegenwart, unverzichtbar in der Zukunft
So lautete der Titel von arbido Nr. 1/2007, das ganz der Berufsbildung und der neuen Bildungsverordnung I+D gewidmet war. Mit Blick auf die ersten sechs Jahrgänge von I+D-AssistentInnen wurde ein ernüchterndes Fazit gezogen: Das Berufsbild sei in der Praxis schlecht verankert, und die Fachhochschulausbildung stehe in Konkurrenz zur Berufslehre. Und heute? Eine 2015 von der Ausbildungsdelegation I+D in Auftrag gegebene Berufsfeldanalyse zeigt, dass sich der Beruf der I+D-Fachfrau, des I+D-Fachmanns auch nach 15 Jahrgängen mit weit über 1000 ausgestellten Fähigkeitszeugnissen und zwei Bildungsplanrevisionen noch immer nicht etabliert hat und nach wie vor zu wenig bekannt ist. Die Konkurrenz zwischen Fachhochschule und Berufslehre hat sich möglicherweise wegen der zunehmenden Akademisierung der Fachhochschulen entschärft. Das dürfte es den Betrieben in Zukunft leichter machen, die richtigen Mitarbeitenden zu rekrutieren: Vereinfacht haben sie die Wahl zwischen praktisch und theoretisch ausgebildeten Kandidatinnen und Kandidaten. Noch immer haben leider die wenigsten Abgängerinnen und Abgänger der Fachhochschule eine I+D-Berufslehre absolviert.
Herbert Staub, Ausbildungsdelegation I+D
- 1 https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19950279/201301010000/414.71.pdf
- 2 So etwa im Kanton Genf beispielsweise eine maturaähnliche Prüfung nach dem «Diplôme Ecole de Culture Générale».
- 3 BBS, SVD und VSA sowie mit einem fachlichen Beitrag der damaligen Ecole de bibliothécaire, der heutigen Haute Ecole supérieure d’information documentaire in Carouge, wo bereits seit Beginn der neunziger Jahre über eine integrierte Ausbildung diskutiert wurde.
- 4 In Chur erfolgte die erste Peerreview im am 24-25.4.2001. Der Bericht der Peers trägt das Datum Mai 2001.
- 5 Durchgeführt an der HEG Carouge sowie durch die HTW in Zürich.