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2017/2 Enquêtes en cours

„Tatort Archiv.“ Ein Film über den historischen Forschungsprozess

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Der Gang ins Archiv ist für seriöse historische Forschung immer noch unabdingbar. Doch für viele, die wir uns an die bequemen Downloads und die schnellen Antworten verschiedener Suchmaschinen und Videokanäle im Internet gewöhnt haben, ist der Gang ins Archiv mit einer hohen Hemmschwelle versehen.

In den meisten, vielfach auf die Zeitgeschichte konzentrierten Filmen dokumentarischen Charakters erscheint das Archiv mehr als Kulisse denn als «Tatort» historischer Forschung. Die historischen Reihen der öffentlichen Sender lieben es, meist männliche Präsentatoren in Szene zu setzen, die in effektvoller Beleuchtung durch historische Räume und Landschaften schreiten, sich ehrfurchtsvoll über Dokumente neigen oder bewundernd vor Kunstschätzen stehen.1
Ihre Aufgabe besteht darin, Forschungsergebnisse zu vermitteln und mit rhetorischen Fragen den Spannungsbogen zu halten. Viele dieser Filme deuten den vorausgegangenen Forschungs- und Erkenntnisprozess lediglich an. Typisch sind Einstellungen, die eine Fachautorität an einem Arbeitstisch im Lesesaal zeigen. Eine unleserliche Handschrift oder ein imposanter Druck liegt vor ihr bzw. ihm. Von den Talking Heads ist zu erfahren, dass Forschung schwierig, anspruchsvoll und mit vielen Mühen verbunden ist.2

Aus dieser Unzufriedenheit mit professionellen filmischen Angeboten und filmischen Selbstdarstellungen von Forschungsprojekten entsprang die Idee, einen eigenen Versuch zu unternehmen und es «besser» zu machen.3 
Am Anfang standen Zweifel angesichts eines ungewohnten Mediums. Wie produziert man als Universitätsprofessorin der Frühen Neuzeit und Sattelzeit einen Film? Wie erzählt man ohne historisches audiovisuelles Material eine Geschichte aus diesem Zeitraum, wenn die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel von vorneherein jeglichen Gedanken an Re-enactments, Computersimulationen und Inszenierungen ausschliessen? Geplant war ein circa fünfminütiger Youtubestreifen. Was schliesslich herausgekommen ist, ist ein 15-minütiger Film, der das Doppelte des ursprünglich veranschlagten Budgets gekostet und mich neben meinen beruflichen Verpflichtungen über zwei Jahre in Anspruch genommen hat. Von den ursprünglichen Planungen blieb die Zielsetzung übrig, Studierende und historisch Interessierte die Scheu vor dem Archiv zu nehmen und zu demonstrieren, welche reizvollen Herausforderungen Archivbestände etwa für die frühe Moderne bereithalten.

Dies sollte an einem konkreten, archivalisch gut dokumentierten Beispiel gezeigt werden. Ich hatte mich für die schillernde und zudem lokal eingebettete Zürcher Figur Hans Rudolf Werdmüllers entschieden: Der hochgebildete General und Ratsherr wurde im 17. Jahrhundert der Bestechung, des Landesverrats und der Gotteslästerung angeklagt. Auf der Halbinsel Au unterhielt er einen derart exzentrischen Haushalt mit ursprünglich moslemischen, dann zum Reformiertentum konvertierten Bediensteten, dass sich bis in das 20. Jahrhundert hinein Gerüchte hielten, der Geist Werdmüllers spuke dort. Der Fall Werdmüller bot attraktive Anknüpfungsmöglichkeiten an aktuelle Fragen etwa zur Rolle der Religion in einer Gesellschaft oder zur Problematik religiöser Meinungsfreiheit.

Anfang des Films mit den sich öffnenden Flügeltüren aus dem Saal des vermeintlichen Anwesens General Rudolf Werdmüllers.

Aus der ursprünglichen Idee, die Drehbuchproduktion einer professionellen Person aus der Filmwelt übertragen zu können, wurde bald die Einsicht, dass ich diese ungewohnte Aufgabe als historische Expertin selbst übernehmen müsste. Es waren kurze, einfache, möglichst von Fachterminologie freie Sätze gefragt. Ein roter erzählerischer Faden musste gesponnen werden, an dem sich die potentiellen Zuschauer/innen auch bei einiger Komplexität der Information würden festhalten können. Der Film sollte nicht zu einem simplen Lehrfilm werden, der erklärt, was ein Archiv ist und wie man dort Bestände bestellt, sondern Aspekte behandeln, die für die Forschung zentral sind: Was ist eine Fragestellung und wie entwickle ich sie, wie komme ich zu aussagekräftigen Quellen, wo liegen die Erkenntnisgrenzen historischer Arbeit? 
Der Anfang in der Art eines Trailers, der die Neugier auf die Person Werdmüllers weckt, erforderte eine klare Abgrenzung zum Hauptteil, in dem der Forschungsprozess im Mittelpunkt steht. Lange habe ich an der Idee einer kommentierenden und einer forschenden weiblichen Stimme festgehalten. Zu viele Filme mit historiographischen Anspruch setzen auf die männliche Stimme, die für Charisma und Expertise steht. Nach ersten Versuchen wurde jedoch klar, dass die Kombination zweier unterschiedlicher Stimmen den thematisierten Forschungsprozess am leichtesten hörbar macht. Letztlich habe ich mich für eine nüchtern-erklärende männliche Stimme (für das Erklären des Forschungsprozesses nach aussen) und eine differenzierende weibliche Stimme (für das Nachdenken der Forscherin nach innen) entschieden.

Abschluss des Films mit den sich schliessenden Flügeltüren aus dem Saal des vermeintlichen Anwesens General Rudolf Werdmüllers.

Wer erfahren will, worin genau die Gotteslästerung Werdmüllers bestanden hat, wird vom Film enttäuscht sein. Seine Protagonisten sind die historischen Quellen und der Erkenntnisprozess der Forscherin. Der Film veranschaulicht, wie man in einer Forschungsarbeit immer wieder an Grenzen stösst und wie man dennoch weiter gehen kann, selbst wenn man etwa Lesefehler macht und in Sackgassen gerät.  Zielpunkt ist die Aussage, dass Geschichtswissenschaft Vergangenheit nicht lediglich abbildet und rekonstruiert, sondern sie immer wieder aus verschiedenen Perspektiven neu darstellt. Das so entstandene Bild kann angesichts der prinzipiellen Lückenhaftigkeit und Perspektivengebundenheit von historischen Quellen immer nur unvollständig sein. 
Auf die ersten Vorführungen des Films im Kreis von Fachinteressierten erntete ich – so schien mir – überraschtes Schweigen, gefolgt von skeptischer Neugier. Nach der anfänglichen Verwunderung erhielt ich jedoch sehr schnell positive Rückmeldungen. Der studentische Fachverein bat darum, den Film auf Facebook zur Verfügung stellen zu dürfen. Kollegen und Kolleginnen haben den Film auf ihrer Homepage verlinkt. Archive fragten an, ob sie auf ihrer Homepage auf den Film verweisen dürften. Filme sprechen offenbar an. Es lohnt sich, das Medium für die Geschichtswissenschaft besser nutzen zu lernen.4

Loetz Francisca 2017

Francisca Loetz

Prof. Dr. Francisca Loetz ist Professorin für Allgemeine Geschichte der Neuzeit (mit Schwerpunkt Frühe Neuzeit Sattelzeit) an der Universität Zürich. 

Résumé

Experte, männlich, das Archiv als Kulisse im Film. Francisca Loetz wollte an diesem Bild in professionellen filmischen Angeboten und filmischen Selbstdarstellungen von Forschungsprojekten etwas ändern. Herausgekommen ist ein 15-minütiger Film, in dem nicht der Forscher, sondern das Archiv als «Tatort» historischen Forschens im Mittelpunkt steht. Nach der anfänglichen Verwunderung gab es von Fachinteressierten und Archiven positive Rückmeldungen.  Mit dem Medium Film lässt sich für die historische Recherche in Archiven werben.

Expert, homme, les archives comme coulisses du film. La professeure Francisca Loetz voulait changer quelque chose dans ces clichés que l'on retrouve dans les films et représentations professionnelles sur les projets de recherche. Le résultat de son action est un court-métrage de 15 minutes dans lequel ce n'est pas le chercheur qui est la figure centrale, mais les archives comme "scènes de crime" des recherches historiques. Les réactions des milieux intéressés à cette initiative sont positifs, aussi pour promouvoir la recherche historique dans les archives.