Commentaires Résumé
2021/4 Le document, c'est quoi?

Karten: Von Feder und Pergament zu Bites, Bytes und Vektoren

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Die Erschliessung von kartografischen Ressourcen ist komplex. Ausgehend von einer Landkarte der Eidgenossenschaft Ende des 15. Jahrhunderts gibt der Beitrag Einblick in spezifische Herausforderungen, mit denen Kartensammlungen im digitalen Zeitalter konfrontiert sind.

Seit 2016 erschliessen Kartensammlungen in der Schweiz, Österreich und Deutschland nach dem Regelwerk RDA. Der internationale Standard umfasst Datenelemente, Richtlinien und Anleitungen zum formatunabhängigen Erschliessen aller Arten von Ressourcen, die vom handschriftlichen Dokument, Buch, über Objekte, Bilder, Digitalisate, bis hin zu E-Medien und Datenbanken reichen. RDA wird in unterschiedlichen Gedächtnisinstitutionen wie z.B. Bibliotheken, Museen und Archive implementiert.

Die Heterogenität der Medien und das Bestreben den Bedürfnissen eines internationalen Datenaustauschs und Linked Data gerecht zu werden, erforderte das Erarbeiten einer neuen Terminologie. Der Begriff Ressource bezeichnet gleichsam als «Oberbegriff» alle Arten von Informationsträgern. So wird in RDA im Unterschied zu AACR2, von cartografic resources nicht mehr von cartografic materials gesprochen.

Was unter kartografischen Ressourcen zu verstehen ist, kann in den Arbeitshilfen, die auf den im D-A-CH Raum abgesprochenen Vereinbarungen beruhen, nachgelesen werden: «Kartografische Ressourcen sind Ressourcen, welche die Erde, einen anderen Himmelskörper oder einen imaginären Ort als Ganzes oder in Ausschnitten darstellen».1 Als kartografische Ressourcen gelten, Einzelkarten, Kartenwerke, Pläne, Atlanten, Globen, Fernerkundungsbilder, Profile, Reliefs, Panoramen, Vogelschaukarten. Diese verschiedenen kartografischen Ressourcen können sich in physischer Form auf unterschiedlichsten Trägermaterialien, aber auch als «E-Karten», als Datenbanken oder kartografische Anwendungen manifestieren.2

War über Jahrhunderte hinweg Papier das am häufigsten verwendete Kartenmaterial, wird heute die überwiegende Anzahl der Karten vollständig computergestützt hergestellt und genutzt. Die Kartenelemente werden als Vektordaten gespeichert und mit Attributen verknüpft. An dieser Stelle sei nur auf die digitalen Karten der swisstopo und die in diesem Jahr von der Schweizerischen Gesellschaft für Kartografie ausgezeichnete swisstopo-App verwiesen.3

Abb. 1: Konrad Türst, [De situ confoederatorum descriptio], 1495/97, Tusche und Aquarell auf Pergament, 39 x 53 cm
Public Domain: Zentralbibliothek Zürich, Signatur: Ms Z XI 307a, https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-17854

Die App stellt sämtliche Landeskarten der Schweiz vom Massstab 1: 10 000 bis 1: 1 Million, Luftbilder, Luftfahrtkarten und historische Karten (Dufourkarten und Siegfriedkarten) frei zur Verfügung. Dieser kostenlosen Anwendung gegenüber steht die älteste erhaltene Karte des Gebietes der Eidgenossenschaft gegen Ende des 15. Jahrhunderts, die der Zürcher Arzt Konrad Türst (um 1450-1503) zeichnete. (Abb. 1) Sowohl die aktuellen Landeskarten der App wie auch Konrad Türsts Manuskriptkarte erfassen die Ausdehnung der Eidgenossenschaft, halten Ortsnamen, Seen, Flussläufe und Gebirge fest, liefern Informationen und ermöglichen eine Orientierung und dennoch sind die Unterschiede gewaltig.

Swisstopo erstellt, basierend auf den in der Kartografie etablierten Konventionen und den zeitgenössischen technischen Möglichkeiten, präzise, massstabsgetreue nach Norden ausgerichtete binär codierte Karten, die eine zuverlässige Orientierung im Gelände erlauben, da sie ein realitätsgetreues anschauliches Modell aus grafischen Zeichen darstellen.

Türsts Karte ist südorientiert, nicht massstabsgetreu und die Grössenverhältnisse der Seen sind verzerrt. Sie ist mit Feder auf Pergament gezeichnet und die Gewässer sind blau, die Berge grün koloriert. Die zeichnerische Umsetzung der geografischen Realität basiert nicht auf Messungen, Luftaufnahmen und Satellitenbilder, sondern auf eigene Anschauung, Reiseberichte und Wegbeschreibungen Dritter. Bezeichnend ist, dass die Distanzen im Flachland der Wirklichkeit näherkommen als diejenigen im Gebirge.

Eine gewisse Verbreitung fand auch Türsts kartografische Pionierleistung: sein Werk diente als Vorlage für die «Tabula Nova Heremi Helvetiorum», die Martin Waldseemüller in seinem 1513 in Strassburg gedruckten Weltatlas veröffentlichte. (Abb. 2)

Abb. 2: Tabula Nova Heremi Helvetiorum, Holzschnitt, aquarelliert, 41 x 52 cm, hg. von, Martin Waldseemüller, [Strassburg]: [Schott], [1513]
Public Domain: Zentralbibliothek Zürich, Signatur: 5 Hb 02: 1, https://doi.org/10.3931/e-rara-80299

Die grossen Ähnlichkeiten der beiden Karten dürfen jedoch nicht dazu verleiten, Waldseemüllers Karte als Kopie zu werten. Das Kartenbild wurde an die veränderten historischen Gegebenheiten angepasst und aktualisiert: Basel, 1501 der Eidgenossenschaft beigetreten, wurde am unteren Blattrand ergänzt. Des Weiteren sind Unterschiede in Kolorierung und der Wiedergabe der «Ortsbilder» zu erkennen; zudem endet Waldseemüllers Karte im Westen bei der geographischen Länge von Freiburg und die Breitengrade sind auf die zwei ganzen Gradbezeichnungen 46° und 47° reduziert.

Abb. 3: Tabula nova heremi Helvetiorum (Overlay)
Public Domain: https://zb.georeferencer.com/compare#map/4a8c6588-49f5-4fee-9196-5968e5bba2dd

Digitalisierte Historische Schweizer Landkarten, unter ihnen auch Waldseemüllers Holzschnitt, wurden im kürzlich abgeschlossenen Citizen Science Projekt «Durch Raum und Zeit» georeferenziert. (Abb. 3) Mittels Überblendung der verorteten mit einer aktuellen oder einer Auswahl verschiedener georeferenzierter Karten unterschiedlicher Entstehungszeit, werden Entwicklungen einer Stadt und Landschaftsveränderungen fassbar. Es entstehen neue kartografische Ressourcen, die es wiederum zu sammeln, zu ordnen und nutzbar zu machen gilt. Ganz im Sinne von Paul Otlet, dem Pionier des Informationsmanagements und Begründer der modernen Dokumentationswissenschaft, werden diese auf der Plattform Old maps online veröffentlicht, zur Verfügung gestellt und sind damit für breite Kreise nutzbar.

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Ylva Gasser

Dr. phil. Ylva Gasser ist stellvertretende Leiterin Abteilung Karten und Panoramen an der Zentralbibliothek Zürich.

  • 1 IDS Arbeitshilfe für Kartografische Ressourcen, S. 2; Zentrale Redaktion Formalerschliessung im Österreichischen Bibliotheksverbund: Kartografische Ressourcen, S. 4; AG RDA Schulungsunterlagen – Modul 6K: Karten | Stand: 30.11.2016, Folie 3.
  • 2 Als Trägermaterialien sind neben Papier und Pergament zu nennen: Stein, Ton, Metall, Papyrus, Stoff, Glas und digitale Speichermedien.
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