Dokument «Webseite»: Eine dynamische Publikation bis zur Archivierung durch eine öffentlich-rechtliche Gedächtnisinstitution
Löschungs- und Änderungsbegehren an Webseiteninhalten nehmen zu und betreffen auch Online-Archive. arbido hat eine Umfrage lanciert, deren Ergebnisse verschiedene Aspekte der Problematik beleuchten.
Medienhäuser sind regelmässig mit Anfragen von Personen konfrontiert, die Inhaltsänderungen von publizierten Online-Beiträgen verlangen. Um nur ein Beispiel zu geben: SRF hat kürzlich einen im News-Magazin «10 vor 10» gesendeten und nachher in der SRF-Mediathek zugänglichen Bericht zu den Pandora Papers von seiner Webseite entfernt, eine darin auftretende Offshore-Managerin nachträglich auf ihren Wunsch hin verpixelt und den Beitrag später in der geänderten Form wieder aufgeschaltet.1
Das Verlagshaus Tamedia bestätigt auf Anfrage von arbido, dass Personen und Unternehmungen regelmässig Änderungen von Online-Inhalten ihrer Webseite fordern, weil sie diese für rufschädigend halten. Personen würden häufig auch die Anonymisierung ihres Namens in älteren Online-Beiträgen fordern, weil sie nicht mehr in Zusammenhang mit einem Geschehnis oder bestimmten Personen gebracht werden wollten.
Tamedia führt weiter aus, dass der Rechtsdienst jeweils in Absprache mit der Redaktion entsprechende Änderungs- und Löschungsbegehren auf ihre Berechtigung hin prüfe. In erster Linie kämen dabei juristische Kriterien zum Tragen, und es werde geprüft, «ob kein öffentliches Interesse mehr an einer Archivhaltung besteht». Und: «Bei Personen oder Geschehnissen von öffentlichem Interesse lehnen wir Löschungsbegehren regelmässig ab.» Die Wahrung der Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Medien sei wichtig.
Der Fakt, dass eine Webseite ein publiziertes Dokument ist, schützt es nicht vor nachträglicher Änderung. Die Online-Version eines Zeitungsartikels bleibt dynamisch und kann sich von der auf Papier gedruckten Version unterscheiden, ohne dass dies für Nutzerinnen und Nutzer erkennbar wäre.
Webarchiv Schweiz
Wie gestaltet sich der Sachverhalt bei archivierten Webseiten? arbido hat bei der Schweizerischen Nationalbibliothek (NB) nachgefragt, die die für die Schweiz wichtigen Webseiten sammelt, erhält und zugänglich macht (vgl. Webarchiv Schweiz). Nach Auskunft von Barbara Signori (Leiterin des Dienstes e-Helvetica in der NB) kommt es bisher sehr selten vor, dass Webseiten nachträglich aus dem Webarchiv Schweiz gelöscht werden müssen. Das Webarchiv Schweiz informiert jeweils über die bevorstehende Archivierungsabsicht und sieht vom Kopier- und Archivierungsvorgang ab, wenn die Webseiteninhaberinnen und -inhaber nicht wollen, dass ihre Webseite im Webarchiv Schweiz dokumentiert und dauerhaft aufbewahrt wird. Gründe dafür seien etwa, dass Webseiteninhaberinnen und -inhaber befürchteten, dass der Kopierprozess ihre Webseite zu sehr belasten würde, sie ihre Webinhalte für nicht archivierungswürdig hielten oder schlicht nicht wollten, dass ihre Webseite vom Bund archiviert werde.
Dass selten Löschanträge gestellt werden, hängt nach Signoris Einschätzung aber auch damit zusammen, «dass das Webarchiv Schweiz nur eingeschränkt vor Ort in der Nationalbibliothek und den Partnerinstitutionen zugänglich ist.» Nach Abschluss des Archivierungsvorganges nimmt das Webarchiv Schweiz keine Löschung einzelner Inhalte aus archivierten Kopien vor. Äussern Webseiteninhaberinnen und -inhaber hingegen den Wunsch, einzelne Webseiteninhalte beim Kopier- und Archivierungsvorgang wegzulassen (bspw. Mitarbeiterfotos), kommt das Webarchiv Schweiz dem nach, sofern dies technisch machbar und vom Aufwand her vertretbar ist.
Wie ist die Situation für öffentliche Archive, die Webseiten aus ihrem Archivsprengel archivieren? Auch diese Webseiten enthalten Berichterstattung zu Events oder Projekten (mit Videos, Fotos, Texten). Öffentliche Archive werden – früher oder später – ebenfalls mit Änderungs- oder Löschungsbegehren von betroffenen Personen konfrontiert sein, weil diese nicht mehr in Zusammenhang mit einem Geschehnis, einer Institution oder bestimmten Leuten gebracht werden wollten.
Rechtslage
arbido hat bei Roman Böhni, Rechtsanwalt und Wirtschaftsinformatiker bei Böhni Rechtsanwälte nachgefragt und Auskunft zur Rechtslage in der Schweiz eingeholt.
Grundsätzlich müsse zwischen Personen des Privatrechts und öffentlichen Organen unterschieden werden, so Böhni. Im Falle eines Medienunternehmens wie bspw. der Tamedia greift das Privatrecht. Eine betroffene Person kann gemäss Datenschutzgesetz eine Löschung oder Änderung eines Webdokuments verlangen, wenn Daten unrichtig sind oder eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung vorliege. Kommt keine Einigung zustanden, kann die betroffene Person den Rechtsweg beschreiten und beim zuständigen Zivilgericht Klage gegen das Medienhaus einreichen. Die betroffene Person muss vor Gericht Unrichtigkeit der Daten respektive die widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung beweisen und das Medienunternehmen wird die Gründe darlegen, die aus seiner Sicht den Webseiteninhalt rechtfertigen. In letzter Instanz entscheidet grundsätzlich das Bundesgericht. Kann das Gericht weder Richtigkeit noch die Unrichtigkeit von Personendaten feststellen, dann hat die klagende Partei noch die Möglichkeit, zu verlangen, dass beim Webseiteninhalt ein entsprechender Vermerk angebracht wird.
Auch bei öffentlichen Organen hat eine betroffene Person das Recht, die Löschung oder Änderung ihrer Personendaten einzufordern, wenn diese unrichtig sind oder widerrechtliche bearbeitet wurden, schreibt Böhni. Und: Kann im Rahmen des Verwaltungsverfahrens weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit der Personendaten bewiesen werden, so muss das öffentliche Organ beim Webseiteninhalt ebenfalls einen entsprechenden Vermerk anbringen. Im Unterschied zu Privaten benötigt das öffentliche Organ eine gesetzliche Grundlage für die Bearbeitung von Personendaten. Ausser auf eine gesetzliche Grundlage kann sich das öffentliche Organ noch auf die im Datenschutzgesetz genannten Gründe für eine Datenbearbeitung berufen. Dazu gehören bspw. die Einwilligung der betroffenen Person sowie der Fall, dass eine betroffene Person ihre Personendaten allgemein zugänglich gemacht und eine Bearbeitung nicht ausdrücklich untersagt hat. Auf ein übergeordnetes (öffentliches) Interesse für die Publikation von Personendaten auf einer Webseite kann sich das öffentliche Organ – im Gegensatz zum privaten Medienunternehmen – hingegen nicht berufen.
Für Archive öffentlicher Organe ist hingegen die Rechtslage dank den Archivgesetzen von Bund und Kantonen auf den ersten Blick weit weniger komplex: Sobald eine Webseite archiviert ist, kann eine betroffene Person keine Löschung oder Änderung ihrer Daten mehr verlangen. Wie bei nicht-publiziertem Archivgut hat sie lediglich das Recht, den strittigen oder unrichtigen Charakter des Inhalts vermerken zu lassen. Das neue Datenschutzgesetz2 unterstreicht gemäss Böhni diesen Grundsatz und hält ausdrücklich fest, dass die Berichtigung, Löschung oder Vernichtung von Personendaten gegenüber öffentlichen Organen nicht verlangt werden kann in Bezug auf die Bestände von öffentlichen Gedächtnisinstitutionen wie bspw. Bibliotheken, Museen, Archive oder Bildungseinrichtungen. Die Position öffentlicher Gedächtnisinstitutionen gegenüber nachträglichen Änderungs- und Löschungsbegehren wird damit noch gestärkt.
Schlussfolgerung
Entscheidend für Löschungs- und Änderungsbegehren am Dokument «Webseite» ist somit, ob es sich in privater oder öffentlich-rechtlicher Hand befindet. Gehört es einem öffentlich-rechtlichen Organ, ist entscheidend, wo im Lebenszyklus es steht: In der laufenden oder ruhenden Ablage sind Änderungen möglich, ist die Webseite bereits archiviert, sind Änderungen ausgeschlossen.
In der Praxis wird es wohl kaum immer so eindeutig sein. Gerade wenn wir an den Status des Dokuments «Webseite» im Lebenszyklus denken. In der Regel wird nach Archivierung durchs zuständige Archiv eine Webseite nicht vom Netz entfernt oder gelöscht. Webinhalte können somit weiterhin bei der öffentlichen Hand abrufbar und gleichzeitig schon im zuständigen Archiv archiviert sein. Angenommen, ein öffentliches Organ muss nach einem Verwaltungsgerichtsentscheid Webseiteninhalte nachträglich ändern oder entfernen, wird sich das Archiv, das die beanstandete Webseite bereits bei sich archiviert hat, aber in Zukunft auf den oben genannten Passus im neuen Datenschutzgesetz berufen können.
Auch in Bezug auf die Rechtsform scheint die Sachlage nicht immer so klar wie man auf den ersten Blick meint. SRF als Beispiel gehört zum grössten Medienhaus der Schweiz, dem als privatrechtlich organisierten Verein SRG-SSR. Gleichzeitig bezeichnet sich SRF selbst als «öffentliches» Medienhaus; es führt in der Tat einen durch den Bund erteilten Auftrag aus, der zu Dreivierteln aus Gebührengeldern der Öffentlichkeit finanziert wird. Und es ist nicht die einzige Institution, die irgendwo zwischen «öffentlich» oder «privat» oszilliert.
arbido bedankt sich bei Tamedia, dem Webarchiv Schweiz der Schweizerischen Nationalbibliothek und Böhni Rechtsanwälte für ihre Stellungnahmen. Andere Medienhäuser und Institutionen haben auf unsere Anfragen nicht reagiert.
- 1 https://medien.srf.ch/-/das-sagt-srf-zur-anonymisierung-des-10vor10-beitrages-zu-den-pandora-papers?redirect=%2F
- 2 Voraussichtlich Mitte oder Ende 2022 tritt das neue Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG) in Kraft. Zum aktuellen Stand der Totalrevision vgl. https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/staat/gesetzgebung/datenschutzstaerkung.html