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2014/4 FH-Bibliotheken – eine dynamische Entwicklung!

Wie Studenten unterschiedlicher Hochschulen ihre Bibliotheken wahrnehmen

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«Wo Goethe, Schiller und Kant von den Regalen herunterstarren, bekomme ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich Zeit auf Websites wie Facebook vergeude, statt zu lernen», sagt Kathrin Kern, die an der Zürcher Universität am Deutschen Seminar Germanistik im sechs- ten Semester studiert. In der Universitätsbibliothek findet man kaum einen Studenten, der seine Bücher beiseite gelegt hat und sich auf Websites diverser sozialer Medien vergnügt. Bevor man die Bibliothek betritt, müssen Taschen in Wandschränke eingeschlossen werden, nur Wasser ist als Getränk erlaubt. Eintretende werden mit gründlichem Blick auf etwaige Regelverstösse geprüft und in den Gängen herrscht eine bedrückende Stille. Die Bücherregale sind eng aneinander gedrängt. Bald befindet man sich in verwinkelten Gängen, die in weitere Räume führen, die einmal einer Stube, ein andermal einer Abstellkammer gleichen.

Ehrwürdige Universität, sterile Hochschule 

Auf dem Rundgang durch die Biblio- thek stellt man schnell fest, wie sehr die Wahrnehmung einer Bibliothek an eigene Erfahrungen gekoppelt ist. Für Kathrin ist hier alles unspektakulär, «wie es sich eben gehört für eine Bibliothek». Sie hat sich nach drei Jahren Studium an die Bibliothek gewöhnt. Ein Linguistikstudent einer Fachhochschule wie die der ZHAW würde hingegen fasziniert sein von Büchern in speckigen Ledereinbänden, vergilbtem Papier, der Vielzahl an Autoren, von hundertjährigen Büchern und deren Duft. Die Bibliothek erweckt den Eindruck einer altbackenen, aber dennoch ehrwürdigen Einrichtung.

Im Vergleich zum Deutschen Seminar ist das Departement Angewandte Linguistik noch jung. Es besteht in seiner jetzigen Form seit rund 15 Jahren. Das ZHAW-Gebäude ist ein moderner Backsteinbau. Was für das Gebäude gilt, trifft ebenso für dessen Bibliothek zu: Die grossen Fenster und die Einrichtung hinterlassen eine helle und frische Stimmung, die bisweilen fast schon etwas steril und nüchtern wirkt. Dieser Charme eines Operationssaals ist im ersten Moment der spürbarste Unterschied zur Universitätsbibliothek.

Dem Eintretenden blicken unzählige Laptop-Bildschirme entgegen. Die Arbeitsplätze nehmen im Vergleich zur Bibliothek des Deutschen Seminars einen grösseren Anteil der Gesamtfläche ein. Die Bücherregale wirken zurückgedrängt. Daran mag es wohl liegen, dass hier die mahnende Kulisse nicht zustande kommt, welche die Besucher des Deutschen Seminars von Facebook und anderen Ablenkungen fernhält.

Kein Bücherneid an der Fachhochschule 

Diese architektonischen Unterschiede wirken sich auch auf die Erwartungen und das Verhalten der Studenten gegenüber ihrer Bibliothek aus.

Kathrin, die Zürcher Germanistin, stellt grundsätzlich zwei Ansprüche an ihre Bibliothek: Erstens soll sie einen geschützten Raum darstellen, in dem sie sich fern von jeder Ablenkung ins Lernen vertiefen kann. Zweitens müssen alle für das Studium benötigten Medien verfügbar sein. «Manchmal kommt es vor, dass Studenten vor den Lern- und Recherchepausen die Bücher absichtlich am falschen Ort ins Regal einräumen. Aber mittlerweile kenne ich die Tricks der anderen Studenten und erweitere meinen Suchradius über das jeweilige Regal hinaus», sagt Kathrin. Bücherneid kennen die Linguistikstudenten der ZHAW hingegen kaum. «Ich habe noch nie ein Buch aus unserer Bibliothek benötigt», sagt Basil Dubach, der sich im vierten Semester des Studiengangs Organisationskommunikation und Journalismus befindet. Dabei ist er nicht allein. Eine spontane Befragung der in der Bibliothek anwesenden Studenten zeigt, dass sie sich nur selten an den vorhandenen Medien bedienen. Ksenia Raspopina, die im Sommer ihr Dolmetscherstudium abschliessen wird, sagt, dass sie die Medien der institutseigenen Bibliothek nutzt, seit sie an ihrer Bachelorarbeit schreibt. «Vorher habe ich hier nur mit dem Laptop gelernt.»

Lernstube und Bücherkonsultation

Die ZHAW-Bibliothek bleibt deshalb nicht weniger besucht: In den Lernphasen ist sie so beliebt, dass Studenten schon morgens vor acht Uhr in die Bibliothek eilen, um einen freien Platz zu ergattern. Dabei handelt es sich nicht nur um Linguistikstudenten. Immer wieder trifft man auf Studenten aus den grösseren Departementen Wirtschaft und Technik. Fragt man nach den Gründen, hört man oft das Gleiche: Die Bibliothek sei schöner als die eigene, sie sei ruhig, hell und habe meist genügend Platz. Es erstaunt nicht, dass Linguistik-Studenten ihre Bibliothek während des Studiums vor allem als Lernstube nutzen, denn in allen Fächern stellen Dozenten ihren Studenten Zusatzliteratur direkt auf der hochschuleigenen Plattform zur Verfügung. Anders sieht es im Deutschen Seminar aus. Studentinnen wie Kathrin sind von Studienbeginn an auf die Bibliothek angewiesen: «Unsere Dozenten erwarten von uns, dass wir für eine Arbeit mindestens zwei bis drei renommierte Quellen angeben. Das bedeutet, dass vor allem Autoren aus dem hauseigenen Bibliotheksbestand infrage kommen. Quellen aus dem Internet sieht man nicht gerne.» Die Studenten werden mit von den Dozenten zur Verfügung gestellten Handapparaten oder Recherchekursen an die Bibliothek herangeführt und gewöhnt, sodass sie wie Kathrin bald schon das Bild der ehrwürdigen und altbackenen Institution ablegen und sie als praktischen Ort der Bücherkonsultation betrachten.

Es lässt sich feststellen, dass die Studenten an Fachhochschulen und an Universitäten ein unterschiedliches Benutzerverhalten aufweisen und andere Ansprüche an ihre Bibliotheken stellen. Die Unterschiede ergeben sich aber nicht nur aus der Erscheinungsform einer Bibliothek, sondern auch aufgrund der Herausforderungen des Studiums beziehungsweise aus den Ansprüchen der Dozenten. Ohne vertiefte Analyse lässt sich sagen, dass Studenten am Deutschen Seminar denen der ZHAW etwas voraus haben: den geübten Umgang mit den Medien einer Bibliothek. Steht nämlich die Recherche für die Bachelorarbeit an, werden sich auch die Dozenten der Fachhochschule nicht mehr mit Quellen aus dem Internet zufriedengeben.

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Dilan Graner

Student Journalismus und Organisationskommunikation, ZHAW 

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Matteo Baldi

Student Journalismus und Organisationskommunikation, ZHAW