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Barrierefreiheit im Archiv - Der Zugang zu Archivgut am Beispiel gehörloser Nutzer*innen

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Die aktuellen und allgegenwärtigen Themen Zugang zu Archiven (vgl. dazu arbido 2023/2) und Barrierefreiheit werden im neuen Band der Open-Access-Reihe «Dialog Digital» des Landesarchivs Baden-Württemberg aufgegriffen. Nora Wohlfarth untersucht Hindernisse und Schwierigkeiten, vor die gehörlose Archivnutzer*innen gestellt werden können und erarbeitet Lösungsansätze. Die Publikation ist die Veröffentlichung ihrer überarbeiteten Masterthesis im Studiengang Archivwissenschaft an der FH Potsdam.

Wohlfarth, Nora: Barrierefreiheit im Archiv. Der Zugang zu Archivgut am Beispiel gehörloser Nutzer*innen, Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2023. Reihe Dialog Digital, Band 3, herausgegeben vom Landesarchiv Baden-Württemberg. https://doi.org/10.53458/books.156

Das Buch ist wie eine klassische Masterarbeit aufgebaut. Nach einer kurzen Einleitung werden die theoretischen Grundlagen erarbeitet. Anschliessend wird die Methodik der Untersuchung vorgestellt. Der Stand der Barrierefreiheit in deutschen Archiven, sowie exemplarisch in englischsprachigen Archiven wird präsentiert. Die Erkenntnisse und Ergebnisse werden ausführlich dargestellt und Handlungsempfehlungen werden daraus abgeleitet. Den Abschluss bilden ein Fazit und ein Ausblick. Das Literaturverzeichnis ist ebenfalls abgedruckt. Die Anhänge sind nicht vollständig aufgeführt. Die Publikation umfasst 116 Seiten.

Nora Wohlfahrt geht davon aus, dass die Nutzung von Archivgut das Ziel aller Archive ist und dass somit ein Recht auf Zugang besteht. Sie stellt sich die Frage, «ob dieser Zugang für alle Nutzer*innen besteht» und «für wen die Archive offen sind bzw. offen sein wollen» (S. 7). Damit beleuchtet sie einen weiteren Aspekt des Zugangs, nicht nur den rechtlichen, sondern auch die Zugangsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen (hier insbesondere mit einer Hörbeeinträchtigung) im Hinblick auf die Themen Barrierefreiheit und Inklusion.

Die Untersuchung des Themas stützt sich auf drei Forschungsmethoden. Zum einen führt die Autorin eine umfassende Literaturrecherche in einschlägiger Fachliteratur und Fachzeitschriften durch (u.a. auch in den online zugänglichen Ausgaben von arbido). Zum anderen analysiert sie Webseiten deutscher Archive und Archivportale hinsichtlich ihrer Zugänglichkeit und Barrierefreiheit (z.B. ob ein Angebot in Leichter Sprache oder Deutscher Gebärdensprache (DGS) vorhanden ist). Darüber hinaus führt sie 15 Expert*inneninterviews durch. Die Interviewpartner*innen sind «Fachleute aus Gedächtnisinstitutionen (institutionelle Perspektive) und gehörlose Menschen, die teilweise Erfahrung mit Archivarbeit haben oder (potentielle) Schritte hin zu mehr Barrierefreiheit aufgrund eigener Erfahrung mit Behinderung beurteilen können (Nutzer*innenperspektive)» (S. 29).

Nora Wohlfahrt stellt in ihrer Studie fest, dass in Archiven und anderen Kultureinrichtungen noch grosser Nachholbedarf in Bezug auf Barrierefreiheit und Inklusion besteht. In der Literatur wird das Thema noch wenig aufgegriffen und kaum vertieft. Webseiten sind oft noch nicht barrierefrei, z.B. fehlen Texte in Leichter Sprache (Schriftsprache kann für gehörlose Menschen abschreckend wirken, da die DGS völlig anders aufgebaut ist und/oder sie keine oder kaum Erfahrungen mit der gesprochenen Sprache haben. Leichte Sprache kann daher helfen, Barrieren abzubauen). Auch in der Vermittlung sieht die Autorin noch Potential, z.B. durch Angebote in DGS. Darüber hinaus stellt sie fest, dass im englischsprachigen Raum das Thema schon viel präsenter ist und auch auf politischer Ebene diskutiert wird. Der Kodex ethischer Grundsätze für Archivar*innen des ICA hält fest, dass allen Nutzer*innen der Zugang und die Nutzung von Archivgut zu ermöglichen ist. Dies kann oder besser gesagt muss auch für Nutzer*innen mit Beeinträchtigungen gleich welcher Art gelten.

Die Verfasserin erarbeitet konkrete Handlungsempfehlungen und Lösungsansätze. Sie weist mehrmals darauf hin, dass Angebote in DGS und Leichter Sprache die Barrieren für Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung massiv senken. Diese sind auf allen Ebenen und in allen Bereichen sinnvoll und notwendig - sei es auf der Website, in analogen Vermittlungsangeboten, vor Ort im Lesesaal oder in Online-Portalen und digitalen Lesesälen sowie in der Öffentlichkeitsarbeit. Auch die Vernetzung mit der Zielgruppe, um deren Bedürfnisse zu erfahren, und die Vernetzung der Archive untereinander zum Austausch von erprobten Hilfsmitteln und Angeboten hält sie für unabdingbar. Außerdem empfiehlt sie, Barrierefreiheit zur Managementaufgabe zu machen. Institutionalisierung und die Bereitstellung finanzieller Ressourcen werden so leichter möglich. Es wird festgehalten: «It’s a marathon, not a sprint» (S. 76).

Dieses Buch ist wichtig. Die Relevanz besteht darin, dass es einerseits erst wenig Fachliteratur zum Thema Barrierefreiheit in Archiven gibt und andererseits noch viele Barrieren in den Institutionen und auf ihren Webseiten bestehen. Gleichzeitig ist das Thema hochaktuell. Der Zugang zu Archiven im Besonderen und die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen am gesellschaftlichen Leben im Allgemeinen sind gesetzlich verankert. Dennoch sind Menschen mit Behinderungen in vielen Lebensbereichen nach wie vor benachteiligt. Der Weg zu einer inklusiven Gesellschaft ist noch weit. Aber auch ein Marathon besteht aus vielen Einzelschritten. Archive können und müssen diese Schritte gehen, um den Zweck des Archivierens zu erfüllen und ihren Beitrag zu einer barrierefreien Gesellschaft zu leisten.

Walter Alexandra

Alexandra Walter

Alexandra Walter ist Absolventin des MAS Information Science der Fachhochschule Graubünden (FHGR). Sie arbeitet seit 2020 im PTT-Archiv in Köniz bei Bern als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Seit 2023 ist sie Redaktionsmitglied von arbido.